Auf einen Blick
- Nach den heftigen Unwettern in Teilen Spaniens wurden bereits über 200 Tote vermeldet
- Mittlerweile ist in Valencia eine Debatte entbrannt, warum die Stadt derart heftig von den Regenfällen getroffen wurde
- 4 Gründe spielen dabei eine besonders grosse Rolle
Über 200 Tote, gewaltige Zerstörungen und ein Land im Schock- und Ausnahmezustand: So lautet die Bilanz nach der verheerenden und historischen Flutkatastrophe in Teilen Spaniens in der Nacht auf Mittwoch.
Besonders heftig getroffen wurde dabei die Region Valencia. Alleine 204 Menschen starben demnach in der Mittelmeerregion. Diese Zahl könnte in den kommenden Stunden weiter ansteigen, zumal viele Menschen noch vermisst werden. Eine offizielle Zahl, wie viele noch in steckengebliebenen Autos oder an anderen Orten vermutet werden, gibt es nicht.
Obwohl die Überraschung über die derart heftigen Regenfälle noch vielen in den Knochen steckt, wird vielerorts bereits diskutiert, wie es zu einer Katastrophe dieser Grössenordnung hat kommen können. Vier Ursachen stechen dabei besonders hervor.
Aussergewöhnlicher Niederschlag
Dass die spanischen Mittelmeerregionen in den Herbstmonaten September und Oktober häufig von starken Regenfällen und Stürmen heimgesucht werden, ist an sich nichts Aussergewöhnliches. Die in den letzten Tagen gemessenen Niederschläge haben in den betroffenen Gebieten aber sämtliche Rekorde gebrochen. So fielen in der Provinz Valencia etwa bis zu 500 Liter Wasser pro Quadratmeter. Besonders eindrücklich: In einigen Städten regnete es in einer Stunde mehr als sonst im ganzen Jahr.
Wie José María Bodoque, ein auf Hochwasserrisikobewertung an der Universität von Kastilien-La Mancha spezialisierter Forscher, gegenüber «The Conversation» erklärt, «sättigten die Niederschläge schnell die Böden und führten zu plötzlichen Überschwemmungen in Wildbächen, Kanälen und Boulevards, die innerhalb weniger Stunden ausbrachen.»
Unzureichender Katastrophenschutz
Auch wenn für die Betroffenen der Flut-Katastrophe zunächst die Sicherung ihres Hab und Guts und die Hilfe anderer an erster Stelle stehen dürfte, so hat inzwischen dennoch eine Debatte über mögliche Schuldige Fahrt aufgenommen. In den Medien und im Internet wird diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen.
So warnte der spanische Wetterdienst Aemet bereits am Sonntag vor heftigen Regenfällen und erhöhte die Alarmstufe am Dienstagmorgen gar auf Rot. Bis jedoch die Bevölkerung direkt vor dem drohenden Unheil gewarnt wurde, vergingen mehrere Stunden. Erst am Dienstagabend um 20.15 Uhr poppte die Zivilschutzwarnung auf den Handys der Leute auf. Da waren viele Orte bereits überschwemmt und Menschen gestorben.
Im Politikbetrieb hält man sich ebenfalls nicht mit Schuldzuweisungen zurück. Dem valencianischen Regionalpräsidenten Carlos Mazón (50) zufolge sitzt der Schuldige Hunderte Kilometer entfernt im Madrider Moncloa-Palast: Pedro Sanchez (52), spanischer Ministerpräsident. Madrid hätte den nationalen Notstand ausrufen müssen, dann wäre alles schneller gegangen, ist Mazón überzeugt.
Das spanische Innenministerium weist die Vorwürfe zurück. In solchen Situationen sei es die Aufgabe der regionalen Behörden, den Zivilschutzalarm auszulösen. Man habe es bewusst vermieden, den lokalen Behörden das Krisenmanagement zu entziehen, weil man davon ausgegangen sei, dass Mazón die Situation unter Kontrolle habe, hiess es weiter aus Madrid.
Desorganisierte Stadtplanung
Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag, aber der Regen alleine ist nicht für die unzähligen Todesopfer verantwortlich. Das Ausmass hängt nämlich auch mit der Stadtplanung zusammen.
In Valencia gibt es viele saisonale Wasserläufe, die normalerweise trocken, aber gelegentlichen Überschwemmungen ausgesetzt sind. Laut Forscher Bodoque sei die über die Jahre zunehmend stattgefundene Urbanisierung der Flussräume von Kanälen und Boulevards besonders problematisch.
Ebenfalls heikel: In der Region gibt es inzwischen eine sehr hohe Dichte an Strassen und Eisenbahnlinien, die quer zu Flüssen verlaufen und deshalb bei Überschwemmungen einen Staueffekt verursachen. Zur Entschärfung der Lage schlagen Experten deshalb vor, die neuen und grösseren Risiken bei der Stadtplanung stärker zu berücksichtigen sowie naturbasierte Massnahmen wie das Anpflanzen von Ufervegetation in Betracht zu ziehen.
Ebenfalls kritisiert wird die Tatsache, dass der Aktionsplan zur Verhütung von Hochwasserrisiken in Valencia zuletzt im Jahr 2015 aktualisiert wurde. Dort wird festgehalten, dass zwölf Prozent der seinerzeit 600'000 Bewohner hochwassergefährdet seien. Mehrere Fachleute für Raum- und Stadtplanung sehen dringenden Handlungsbedarf, da das Risikogebiet inzwischen viel grösser sei.
Die möglichen Auswirkungen des Klimawandels
Vereinzelte Tiefdruckgebiete auf hohem Niveau und die damit einhergehenden heftigen Regenfälle in kurzer Zeit sind am Ende des Sommers in der spanischen Levante ein häufiges Phänomen. Das als «Cold Drop» bezeichnete Phänomen tritt auf, wenn eine isolierte polare Luftmasse in sehr grossen Höhen zu zirkulieren beginnt und mit der wärmeren und feuchteren Luft kollidiert, die für das Mittelmeer am Ende des Sommers typisch ist. Dies löst häufig Stürme aus, die in kurzer Zeit grosse Wassermengen abführen.
Experten weisen darauf hin, dass der Klimawandel wahrscheinlich zur Häufigkeit und Intensität solcher Wetterphänomene beiträgt. So hat ein vorläufiger Bericht der akademischen Organisation World Weather Attribution, die sich mit der Abwägung der Auswirkungen der globalen Erwärmung auf Extremereignisse befasst, festgestellt, dass der Klimawandel die Niederschlagsintensität über Spanien um 12 Prozent erhöht und die Wahrscheinlichkeit von Extremereignissen verdoppelt hat.