Die Wahlen in Frankreich endeten am Sonntag mit einem Paukenschlag. Nicht das rechtsextreme Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen (55) und Jordan Bardella (28) hat gewonnen, sondern das Linksbündnis Neue Volksfront (NFP).
Politiker in andern Ländern jubeln: «Gratulation an unsere Schwesterpartei», schreibt die Schweizer SP, «Das Schlimmste wurde vermieden», sagt der deutsche SPD-Politiker Nils Schmid (50), «Froh», jubelt der polnische Regierungschef Donald Tusk (67). Doch so harmlos sind diese Linken gar nicht. Blick erklärt, was die Wahlen für die Schweiz, Europa und die Zukunft von Emmanuel Macron (46) bedeuten.
Warum haben die Linken gewonnen?
Das rechte RN hat auch bei der zweiten Wahlrunde mit Abstand am meisten Stimmen bekommen, wurde aber dennoch nur drittstärkste Kraft. Das liegt am Wahlsystem, das nicht die Verhältnis-, sondern die Mehrheitswahl vorsieht.
Jeder Kandidat, der in einem Wahlkreis am meisten Stimmen erhält, ist gewählt. Die Stimmen für die unterlegenen Kandidaten verfallen. Die Abstimmung entspricht somit 577 Einzel-Wahlen statt einer einheitlichen Wahl.
Die linken Parteien wollten verhindern, dass die Rechten gewinnen und haben sich daher kurzfristig zum Bündnis Neue Volksfront zusammengeschlossen. Dazu gehören Linksextreme, Sozialisten, Sozialdemokraten und Grüne. Gemeinsam mit Macrons Lager einigten sie sich darauf, pro Wahlkreis nur einen Kandidaten zu stellen, um die Kräfte zu bündeln. Die Rechnung ist aufgegangen.
Wie extrem sind die linken Wahlsieger?
Jean-Luc Mélenchon (72) ist Gründer der Bewegung La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), die im Linksbündnis vertreten ist und teilweise als linksextrem angesehen wird. Mélenchon gilt als Antisemit, Verschwörungstheoretiker und Nato-Gegner.
Richard Werly, Frankreich-Experte und Redaktor bei Blick Romandie, relativiert: «Während Le Pen und Bardella den Rechtsstaat angreifen und die Grundfreiheiten infrage stellen wollen, wird Mélenchon nicht als Gefahr für die Republik wahrgenommen.»
Auch sei sein Einfluss im Bündnis nicht sehr gross. Mélenchons Linke seien mit rund 80 Sitzen den Sozialisten mit 62 nicht mehr viel voraus. Werly: «Mélenchon spricht am lautesten, aber er regiert nicht mehr allein über die Linken.»
Wie reagieren die Rechten?
Marine Le Pen gibt sich gelassen. Ihr Sieg sei nur «aufgeschoben». Ihre Partei sei die einzige Alternative zur «Einheitspartei» des linken Lagers und der Mitte-Kräfte.
Welche Macht bleibt Macron noch?
Mit den von ihm initiierten Neuwahlen wollte er seine Macht festigen. Der Schuss ging nach hinten los. Die Wahlen degradieren ihn vom Macher praktisch zum Schiedsrichter und Überwacher der Einheit der Nation.
Bisher konnte Macron schalten und walten, wie er wollte, weil Premierminister Gabriel Attal (35) von der gleichen Partei war. Jetzt muss Macron einen neuen Regierungschef ernennen – vermutlich jemanden aus dem siegreichen linken Bündnis –, der eine Regierung formieren muss. An dieser Person wird es liegen, Macrons politisches Erbe zu verwalten. Möglich ist dann, dass gewisse Gesetze, etwa die Erhöhung des Rentenalters auf 64 Jahre, rückgängig gemacht werden.
Welche Auswirkungen haben die Wahlen auf Europa und den Krieg?
Nach der Pleite der Rechten wird sich nicht viel ändern. Werly: «Mélenchon macht zwar Angst, aber das präsidiale Lager bleibt stark. Es ist die Garantie für eine Art Status quo.» Emmanuel Macron reist bereits am Dienstag zum Gipfeltreffen anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Nato nach Washington.
Andere Auswirkungen hätte ein Sieg des RN gehabt. Werly: «Seine Sympathien für Russland sind bekannt. Das Kippen in Frankreich hätte Europa erzittern lassen.»
Welche Auswirkungen haben die Wahlen auf die Schweiz?
Um ihr Programm finanzieren zu können, werden die Linken möglicherweise die Steuern erhöhen. Das könnte dazu führen, dass reiche Franzosen ihren Sitz ins Ausland verlegen, zum Beispiel in die Schweiz.
Die Schweiz könnte der neuen Regierung auch als Vorbild dienen. Werly: «Sie werden das Schweizer Modell der Konkordanz und der Volksabstimmung genau unter die Lupe nehmen.»
Präsident, Premier ... Wer ist nun der Boss?
In Frankreich gibt es einen Präsidenten und einen Premierminister. Wenn – wie bisher – beide der gleichen Partei angehören, tritt meistens der Präsident in den Vordergrund. Wenn der Premierminister einer anderen Partei angehört, nennt man das eine Kohabitation. Die Position des Präsidenten ist dann geschwächt. Er bleibt aber Oberbefehlshaber der Streitkräfte und bestimmt somit über den Einsatz von Nuklearwaffen.
Bei den Wahlen am Wochenende stand Macron selbst nicht zur Wahl. Der Präsident wird alle fünf Jahre – verschoben zum Parlament – gewählt, das nächste Mal 2027. Bis dann will Macron im Amt bleiben.