Ende August tötet Illir B. * in Dietikon seine Frau mit einer Stichwaffe (BLICK berichtete). B. war polizeibekannt, seit er im Februar 2018 aktenkundig wegen häuslicher Gewalt und Drohung gegen seine Ehefrau wurde. Massnahmen wie Kontakt- und Rayonverbote nützten nichts. B. wartet, bis diese abgelaufen waren und sticht dann zu.
In den letzten Monaten kam es nebst Dietikon zu diversen weiteren Vorfällen häuslicher Gewalt mit Todesfolge in der Schweiz. In Au ZH, Apples VD, Affoltern am Albis oder Zürich-Wiedikon. Dabei sind diese Fälle nur die medienwirksamen Dramen. 18'522 Fälle häuslicher Gewalt wurden letztes Jahr in der Schweiz registriert – Mord ist nur der schlimmste Auswuchs davon.
Über 200 tote Frauen in Frankreich
Häusliche Gewalt ist allerdings kein schweizerisches Problem. Weltweit kommt es, wenn die Türen vor den Blicken der Öffentlichkeit geschlossen werden, zu Übergriffen. Manchmal sind diese verbaler Natur, manchmal enden sie mit dem Schlimmsten. Alleine in Frankreich starben in den vergangen zwei Jahren über 200 Frauen durch ihre aktuellen oder ehemaligen Partner. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besuchte deshalb die extra dafür eingerichtete nationale Notrufzentrale «3919», um sich ein Bild von der Situation zu machen, berichtet die französische «Liberation». Ein Journalist protokollierte das Geschehen.
Macron traut seinen Ohren nicht
Macron legte sich ein Headset an und hörte bei einem erfahrenen Operator von «3919» mit, als dieser ein Telefonat einer 57-jährigen Frau erhielt. Ihr gewalttätiger Ehemann habe gedroht, sie zu töten, nachdem er sie jahrelang misshandelte, erzählte die Frau. Ein Journalist der Zeitung «Liberation» protokollierte das Gespräch. Nun wolle sie ihn verlassen. Sie sei auf einer lokalen Polizeistation und habe Anzeige eingereicht. Doch weil sie Angst habe, dass sie beim Heimkommen ermordet werden würde, habe sie die Polizei gebeten, sie zu begleiten. Doch die hätte abgelehnt.
Der Operator konnte es kaum glauben und sagte: «Sie sind in Gefahr. Ihr Ehemann ist zuhause. Die Polizei muss Sie begleiten.» «Nein, sie wollen nicht», sagte die Frau erneut. Macron, der alles mithörte, schüttelte den Kopf und sah sichtlich verärgert aus, heisst es im Bericht. Mehr tat er allerdings nicht.
«Geben Sie mir den Polizeibeamten», sagte der Operator daraufhin. 15 Minuten lang habe dieser anschliessend versucht, den Polizisten davon zu überzeugen, die Frau zu begleiten. Doch der Polizist lehnte ab, es sei nicht an ihm, hier zu intervenieren. Er brauche einen Gerichtsbeschluss, um die Frau zu begleiten.
«Wollen sie warten, bis sie tatsächlich tot ist?»
Macron wurde im Verlauf des Gesprächs immer verärgerter, gab dem Operator ein Blatt Papier, auf dem stand: «Es ist die Aufgabe der Polizei, sie zu beschützen, wenn eine klare Gefahr besteht. Mit Gerichtsbeschluss oder ohne». Der Operator versuchte es weiter, sagte: «Die Frau hat eine Todesdrohung erhalten. Wollen sie warten, bis sie tatsächlich tot ist?». Doch es nützte nichts. Die Frau verliess die Station alleine. Nach dem Anruf fragte Macron den Operator, ob dies öfters passiere. Dessen Antwort: «Oh ja, immer öfters».
Unterdessen hat die Militärpolizei eine Untersuchung eröffnet. Macron sagte, der Fall zeige exemplarisch, dass häusliche Gewalt nicht ernst genug genommen werde.
121 Frauen starben wegen häuslicher Gewalt letztes Jahr in Frankreich, berichtet die französische «RFI». Dieses Jahr seien es bereits über 100. Laut Eurostat-Daten gibt es nur zwei Länder in Westeuropa, in denen auf die Bevölkerungszahl gerechnet mehr Frauen wegen häuslicher Gewalt sterben: Deutschland und die Schweiz. (vof)