Olaf Scholz (63) zieht Nord Stream 2 den Stecker. «Die Lage ist heute eine grundlegend andere», sagte der deutsche Bundeskanzler am Dienstag in Berlin, nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin (69) am Vortag die selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk als unabhängige Staaten anerkannt hatte: Das Genehmigungsverfahren für die seit Dezember betriebsbereite, aber höchst umstrittene deutsch-russische Gaspipeline ist ausgesetzt.
Die Ukraine hatte den Stopp gefordert. Für Russland hat die Sanktion schwere wirtschaftliche und politische Konsequenzen.
Allerdings ist die Massnahme auch für das vom Erdgas Russlands abhängige Deutschland ein Risiko. Der Schritt dürfte sich auf die ohnehin erhöhten Energiepreise auswirken. Und dreht Russland aus Trotz den Gashahn ganz ab, könnten die Heizkörper laut einer Berechnung der Denkfabrik Bruegel schon Ende März kalt bleiben.
Doch das vorläufige Aus für Nord Stream 2 zeigt: Der Westen ist bereit, Russland in der Ukraine-Krise die Rote Karte zu zeigen. Auch wenn das bedeutet, dass sich das Spiel für ihn selbst verändert.
Wird Russland von Swift ausgeschlossen?
Weiter umfasst das EU-Sanktionspaket nach Angaben aus Brüssel ein Handelsverbot für russische Staatsanleihen, um eine Refinanzierung des russischen Staates zu erschweren. Zudem sollen mehrere Hundert Personen und Unternehmen auf die EU-Sanktionsliste kommen.
Grossbritannien hat vorläufig fünf russische Banken sowie drei wohlhabende russische Staatsbürger mit gezielten Sanktionen belegt. Deren Vermögen in Grossbritannien werde eingefroren und Reisen nach Grossbritannien unterbunden, sagte Premierminister Boris Johnson (57) gestern.
Auch US-Präsident Joe Biden (79) hat gestern in einer Ansprache im Weissen Haus eine erste Tranche an Sanktionen angekündigt. Sie richten sich gegen zwei grosse Banken, darunter die Militärbank. Dadurch werde die russische Armee behindert, Zahlungen auszuführen und einzukaufen.
Zudem gibt es Sanktionen gegen den Handel mit russischen Staatsanleihen und gegen Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie sollen ab heute in Kraft treten. Biden betonte, die USA seien zu noch härteren Gegenmassnahmen bereit, falls Russland sein Vorgehen gegen die Ukraine weiter vorantreiben sollte.
Als «Nuklearoption» gilt der mögliche Ausschluss aus dem internationalen Zahlungsverkehr. Die Russen – oder auch nur ausgewählte Banken – wären von den meisten globalen Transaktionen über das Zahlungsverkehrssystem Swift abgeschnitten, besonders die für die Einnahmen wichtigen Öl- und Gaskonzerne wären betroffen. Swift ist der Standard für Zahlungen über Ländergrenzen.
«Russland braucht unbedingt Zugang zum Kapital, weil es das Geld für die Wirtschaft und auch Kriegskasse braucht. Jeder Ausschluss aus dem Zahlungsverkehr erhöht den Druck», sagt Finanzmarktexpertin Caroline Hilb Paraskevopoulos (44), Direktionsmitglied bei der St. Galler Kantonalbank.
So würde sich der Swift-Ausschluss auf die Schweiz auswirken
Doch der Ausschluss dürfte sich auch massiv auf den Westen auswirken, besonders auf Europa. Im Gegensatz zum Iran, zu Afghanistan und Nordkorea, die von Swift ausgeschlossen sind, sind die Handelsbeziehungen eng.
Europa müsste etwa rasch Ersatzlösungen finden, um ihre Energieversorgung aufrechtzuerhalten. Viele Waren sowie Öl und Gas würden durch die Sanktionen verteuert, die Inflation würde weiter steigen.
Auch die Schweiz wäre betroffen. Sie ist voll integriert in den europäischen Zahlungsverkehr. Russische Empfänger von Exportgütern könnten dann etwa ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen. 2018 betrug der Wert der Exportgüter in die Schweiz nach Seco-Angaben 2,38 Milliarden US-Dollar.
Entsprechend umstritten ist die «finanzielle Atombombe», wie der Swift-Ausschluss auch genannt wird. Unklar ist zudem, wie gross der Effekt tatsächlich wäre.
«Die Frage ist immer, wie lange die Sanktionen bestehen oder wo es Ausnahmen gibt», sagt Expertin Caroline Hilb Paraskevopoulos. Und durch die Sanktion könnten sich Russland und China noch mehr aneinander binden. Bereits seit geraumer Zeit arbeiten die beiden Länder an einem von Swift unabhängigen Zahlungsnetzwerk.
Warum Sanktionen Putin bislang nicht beeindruckten
Der Swift-Ausschluss liegt darum auf dem Tisch, dürfte aber nicht unmittelbar beschlossen werden. Wenn Russland in die Ukraine einmarschiere, sei dieser Schritt im ersten Sanktionspaket «unwahrscheinlich», sagte der stellvertretende nationale US-Sicherheitsberater Daleep Singh erst am Freitag laut Reuters.
Die Sanktionen dürften – wie schon nach der Annexion der Krim 2014 und der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny (45) – in einem mehrstufigen Prozess fallen. Der Nutzen des Druckmittels ist jedoch insgesamt fragwürdig. Bislang liess sich Putin davon nicht beeindrucken.
Russland hat alle wirtschaftlichen Strafen – Einfrieren von Vermögenswerten, Einreisesperren, Kredit-Beschränkungen und Verbote von Technologie-Transfers – der vergangenen acht Jahre durchgestanden. Und seine Wirtschaft in dieser Zeit deutlich widerstandsfähiger gegen Druck von aussen gemacht.
So hat Putin etwa seine Beziehung mit China verbessert und die internationalen Währungsreserven erhöht, um den Wert des russischen Rubels im Krisenfall zu stützen. Ende Januar verfügte das Land nach Angaben der Zentralbank Russlands über mehr als 630 Milliarden US-Dollar an internationalen Devisen. Laut einer Recherche des «New Yorker» ein Anstieg von mehr als fünfzig Prozent seit Anfang 2017. Wie robust die russische Wirtschaft im Ernstfall allerdings tatsächlich ist, könnte sich schon bald zeigen.