«Wall Street Journal» befeuert Gerüchte um Geheimplan
Lassen die Demokraten Biden fallen?

Die Demokraten wollen Joe Biden vor den Wahlen aus dem Rennen nehmen. Dieses Gerücht bekommt dank eines Artikels des «Wall Street Journal» wieder Aufwind. Was ist am Bericht dran? Wer hätte gegen Donald Trump überhaupt eine Chance? Wir liefern die Antworten.
Publiziert: 06.06.2024 um 17:02 Uhr
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Aktualisiert: 29.06.2024 um 22:47 Uhr
Hat immer wieder Aussetzer: US-Präsident Joe Biden.
Foto: Getty Images

Ein Artikel im «The Wall Street Journal» (WSJ) sorgt für Aufregung. Unter dem frei übersetzten Titel «Hinter verschlossenen Türen zeigt Biden Anzeichen von Straucheln» werden Republikaner und Demokraten zitiert, die an keine weitere Amtszeit von US-Präsident Joe Biden (81) glauben.

Der Artikel befeuert das Gerücht, dass ihn die Demokraten während des Wahlkampfs austauschen würden, weil er zu alt und geistig nicht mehr auf der Höhe sei. Wahr oder einfach Propaganda von Donald Trumps (77) Republikanern?

Was ist an diesem Zeitungsbericht dran?

Autorinnen sind die beiden langjährigen Washington-Korrespondentinnen Annie Linskey und Siobhan Hughes des WSJ. Sie schreiben, ihr Artikel basiere auf Interviews mit 45 Personen, die sie über mehrere Monate getroffen habe. Darunter befänden sich Demokraten und Republikaner.

Der Bericht zitiert Politiker und Mitarbeiter im Weissen Haus, die über Bidens Verhalten auspacken. So murmle er unverständlich, schliesse die Augen, verspreche sich und verwechsle Personen.

Gegenüber CNN erklärte Hughes: «Wir wollen zeigen, dass Biden hinter verschlossenen Türen der Gleiche ist wie in der Öffentlichkeit – in guten und in schlechten Tagen – und nicht der scharfsinnige Typ, wie es uns das Weisse Haus immer weismachen will.»

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Vor einem Jahr stolperte Joe Biden an einer Feier in Colorado.
Foto: AFP

Wie seriös ist das «Wall Street Journal»?

Das WSJ hat rund eine Million zahlende Online-Abonnenten und gehört mehrheitlich Rupert Murdoch (93). Die politische Ausrichtung gilt als konservativ und Republikaner-freundlich. Claudia Brühwiler, USA-Expertin an der Uni St. Gallen: «Das ‹Wall Street Journal› ist grundsätzlich eine ernstzunehmende Quelle, da sich die Zeitung an hohe journalistische Standards hält.»

Wie reagiert Joe Biden?

Der US-Präsident hat sich zum Bericht nicht geäussert. Hingegen widersprechen Vertreter des Weissen Hauses und der Demokraten dem Artikel und kritisierten das Journal scharf, weil es sich grösstenteils auf Berichte von republikanischen Politikern beziehe.

Vor allem wird kritisiert, dass der ehemalige Sprecher des Kongresses, Kevin McCarthy (59), als Republikaner so gross zu Worte kommt. McCarthy, der Biden seit Jahren kennt, wird im WSJ zitiert: «Er ist nicht mehr derselbe Mensch.» Die Demokraten halten in einer Stellungnahme fest, dass McCarthy Biden erst noch als «sehr professionell, sehr klug und gleichzeitig hart» gelobt habe.

Wie realistisch ist es, dass Biden ausgetauscht wird?

In sozialen Medien kursiert die Vermutung, dass WSJ-Story gezielt von Demokraten platziert worden sei, die nicht mehr an einen Wahlsieg Bidens bei der US-Präsidentschaftswahl im November glauben.

Auch Vivek Ramaswamy (38), der als republikanischer Präsidentschaftskandidat gegen Trump antrat und hinter vorgehaltener Hand noch immer als möglicher Trump-Vize 2024 gehandelt wird, glaubt, dass Biden ausgewechselt werden könnte. Er begründet dies auf X mit dem Fahrplan der Demokraten.

Ramaswamy: «Es gibt einen Grund, warum die Demokraten verlangt haben, dass die erste Debatte vor ihrem Nationalkongress stattfindet.» An diesem Kongress Mitte Juli werden die Demokraten ihren Präsidentschaftskandidaten offiziell bestimmen. Das erste TV-Duell ist auf den 27. Juni bei CNN angesetzt.

Wer würde Biden ersetzen?

Zuerst würden die Demokraten die Chancen von Vizepräsidentin Kamala Harris (59) prüfen. Sie hat aber weder Erfolg erzielt noch Popularität erreicht.

Am meisten genannt wird Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom (56). Weil aber seine Herkunft aus dem klar demokratisch dominierten Staat in den Swing States ein Handicap werden könnte, wäre es laut Brühwiler besser, gerade aus einem solchen Staat jemanden zu nominieren: zum Beispiel die ebenfalls schon etwas bekanntere Gouverneurin Gretchen Whitmer (52) aus Michigan oder Gouverneur Josh Shapiro (50) aus Pennsylvania.

Hätte ein Biden-Ersatz gegen Trump eine Chance?

Ein Wechsel käme einem Himmelfahrtskommando gleich. Biden ist ein Meister des Mobilisierens, wie er bei den letzten Präsidentschaftswahlen und auch bei den Zwischenwahlen 2022 bewiesen hatte. Der amtierende Präsident folgt Trump bei Umfragen seit Wochen hartnäckig mit einem Prozentpunkt Abstand. Ein neuer Name würde den Demokraten wohl einen Taucher bescheren.

Claudia Brühwiler: «Joe Biden ist grundsätzlich die Art von Demokrat, der die besten Chancen gegen Trump hat: vergleichsweise moderat, ‹old school›, relativ ausgleichend – und sein nationaler Bekanntheitsgrad ist als Präsident hoch genug, um mit Trumps medialer Dauerpräsenz Schritt zu halten.» Zudem genössen Amtsinhaber gewisse Vorteile, vor allem, wenn es wirtschaftlich gut laufe.

Die grösste Herausforderung bei einem neuen Kandidaten sei, ihm Bekanntheit zu verschaffen und dafür zu sorgen, dass er oder sie in einer nationalen Wahlkampagne mithalten könnte. Brühwiler: «Zu Beginn würde da der Neuheits- und Jugend-Faktor spielen. Aber der kann schnell verblassen, wie einst die Republikaner mit der Vizepräsidentschaftskandidatur von Sarah Palin lernen mussten.»

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