Auf einen Blick
Inzwischen sind zehn Tage vergangen seit der denkwürdigen US-Wahl. Zwar sind nach wie vor nicht alle Stimmen ausgezählt, doch die wichtigen Folgen sind bereits klar: Donald Trump (78) wird am 20. Januar erneut US-Präsident, die republikanische Partei wird beide Parlamentskammern kontrollieren.
Die Prognosen waren sehr eng. Letztlich hat Trump mit 312 gegen 226 Elektorenstimmen aber deutlich gewonnen. Blick liefert eine Übersicht über die entscheidenden Faktoren, die zu Trumps Triumph geführt haben – und was die Wahlen in vier Jahren entscheiden könnte.
Starker Preisanstieg
In den USA sind in den vergangenen Jahren die Preise stark angestiegen. Die Inflation erreichte im Juni 2022 einen Höchststand bei 9,1 Prozent. Viele Alltagsgüter sind heute viel teurer als bei der Amtsübernahme von Joe Biden (81). Wähler reagieren sehr empfindlich auf Inflation, die nach der Corona-Krise in vielen Ländern zum Problem wurde.
Doch auch die Regierung Biden hatte einen Anteil: Sie hat ein 1,9 Billionen Dollar schweres Gesetz zur Pandemiebekämpfung verabschiedet, dessen Nutzen umstritten ist, die Inflation aber angekurbelt hat. «Dadurch wurden Millionen von Arbeitnehmern um reale Lohnzuwächse gebracht», schreibt das «Wall Street Journal» in einer Wahlanalyse.
Reichtum kommt nicht überall an
Die wirtschaftliche Stimmung in den USA ist schlechter, als es die Zahlen eigentlich vermuten lassen. Das Wachstum der Löhne für die Arbeiterschicht verläuft seit Jahren schleppend – trotz steigender Unternehmensgewinne.
In einem Podcast-Gespräch mit der «New York Times» sagte der linke Senator Bernie Sanders (83) kürzlich, die demokratische Partei habe «keine Wertschätzung für den Kampf und das Leiden von Millionen und Abermillionen von Menschen aus der Arbeiterklasse». Solange die Partei keine Vision habe, wie man aus dieser Situation herauskomme, werde sie nicht weit kommen, so Sanders. Die Einkommens- und Vermögensungleichheit in den USA sei höher als je zuvor – doch die Demokraten hätten darauf keine Antworten.
Gescheiterte Identitätspolitik
Kamala Harris (60) schnitt bei schwarzen Wählern schlechter ab als Joe Biden vor vier Jahren. Sie schnitt auch bei den Frauen schlechter ab als Biden zuvor. Auch bei Latino-Wählern und Jungen büsste sie Stimmen ein.
Das ist überraschend, wenn man glaubt, dass es bei der Politik primär um die Repräsentation von ethnischen, sozialen oder geschlechtlichen Gruppen geht. Offensichtlich haben die US-Wähler also nicht einfach aufgrund von Identitätsfragen gewählt.
In der «New York Times» schrieb Kolumnistin Maureen Dowd (72) einen viel beachteten Meinungsbeitrag, der die Identitätspolitik kritisch betrachtet. Sie schreibt: «Einige Demokraten wachen endlich auf und stellen fest, dass die Woke-Bewegung pleite ist.» Dass eine schwarze Frau bei den afroamerikanischen Wählern schlechter abschnitt als ein weisser Mann, müsse grundsätzlich zu denken geben.
Eliten-Entfremdung
Kolumnistin Dowd betont, dass sich die demokratische Partei insgesamt stark von den einfachen Leuten entfremdet habe. Harris setzte bei ihrer milliardenschweren Kampagne auf Prominente wie Oprah Winfrey (70) oder Beyoncé (43) – «während viele der von ihr gewünschten Wähler aus der Arbeiterklasse sich nicht einmal eine Eintrittskarte für ein Beyoncé-Konzert leisten konnten, geschweige denn eine Anzahlung für ein Haus».
Illegale Migration
Zu den Sorgen der breiten Bevölkerung gehört in den USA auch die illegale Einwanderung, die in den ersten Jahren der Biden-Harris-Regierung erheblich zunahm.
Diese Migration habe praktischen Einfluss auf Mieten, Häuserpreise und die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, betont der einflussreiche Tech-Investor Peter Thiel (57). Sogar Menschen mit Migrationshintergrund möchten oft nicht, dass die Mieten noch mehr in die Höhe schiessen. Thiel sagt: «Wenn Sie ein bangladeschischer Uber-Fahrer in New York City sind, wollen Sie dann noch mehr Bangladescher?»
Aussenpolitische Baustellen
Die Aussenpolitik spielt für amerikanische Wähler traditionell eine geringe Rolle. Dennoch fasst Statistiker Nate Silver (46) die Stimmung der US-Wähler wie folgt zusammen: «Die Welt ist in Bidens Amtszeit instabiler geworden.» Es habe eine Zunahme zwischenstaatlicher Konflikte gegeben, Krisen im Nahen Osten und in der Ukraine und einen Abzug aus Afghanistan, der sich negativ auf Bidens Popularität ausgewirkt habe. Zudem sei die Basis der demokratischen Partei beim Israel-Hamas-Konflikt stark gespalten. All das habe Harris geschadet.
Entscheidung im Rostgürtel
Im Wahlkampf spielten auch der späte Wechsel von Biden zu Harris, die Anschlagversuche auf Donald Trump oder das Engagement des reichsten Menschen der Welt, Elon Musk (53), eine Rolle. Letztlich aber gab die Wirtschaft den Ausschlag – «it's the economy, stupid», sagte Clinton-Berater James Carvill schon 1992.
Dabei hat Trump erfolgreich um die Wähler im amerikanischen «Rostgürtel» geworben. Swing States wie Pennsylvania, Michigan oder Wisconsin lebten traditionell stark von der Industrie, der Herstellung von Autos und Handelsgütern. Trumps Ankündigung von neuen Zöllen sei hier gut angekommen, sagt Peter Thiel – auch wenn sie den USA insgesamt schaden könnten. Der Investor ist überzeugt, dass es entscheidend ist, wie sich die Wirtschaft im Rostgürtel nun entwickle. «Wenn man sagen muss, was J.D. Vance (40) tun muss, um 2028 zum Präsidenten gewählt zu werden, dann ist es, das Problem des Rostgürtels zu lösen.»