Hats der Kerl noch drauf? Oder ist er der tattrige Greis, als den ihn seine Gegner darstellen? Das war die grosse Frage vor Joe Bidens (81) Rede zur Lage der Nation in der Nacht auf heute. Der US-Präsident hat sie überdeutlich beantwortet.
Eine Stunde und sieben Minuten lang sprach, ja rief Biden seine Rede mit ganz wenigen Versprechern in den Saal, zeigte sich kämpferisch und witzig, gut gelaunt und zuversichtlich. Er griff Donald Trump (77) frontal an, ohne ihn namentlich zu nennen. Und der Demokrat liess keinen Zweifel daran: Er wird kämpfen bis zum Umfallen, um die Wahl am 5. November zu gewinnen. Vier Erkenntnisse und ein grosser Zweifel bleiben.
Das Alter? Für Biden kein Thema
Mit 81 ist Joe Biden heute schon der älteste US-Präsident der Geschichte. Sollte ein Pensionär wirklich den vermeintlich härtesten Job der Welt ausführen? Biden findet ganz klar: ja!
Als er mit 30 in den US-Senat gewählt worden sei, habe man ihm vorgeworfen, er sei noch viel zu jung. Jetzt sage man ihm, er sei viel zu alt. «Ich sage euch: Es spielt keine Rolle, wie alt ich bin. Es kommt nur drauf an, wie alt die Ideen sind, an die wir uns halten», donnerte Biden in den Saal.
Klar: Biden musste sich hie und da räuspern (eine Folge seines Säurereflux, unter dem etwa jeder fünfte Erwachsene leidet). Klar: Hie und da verhaspelte sich der auffällig schnell sprechende Präsident. Aber: Biden war witzig («Ich weiss, man siehts mir nicht an, aber ich bin schon ein Weilchen dabei»), angriffig und liess selbst von den provokativen Zwischenrufen aus der republikanischen Parlamentsecke nicht aus dem Konzept bringen.
Fazit: Stark!
Trump kriegt sein Fett weg
Donald Trump (77)? Den hat Biden in seiner 67-minütigen Rede kein einziges Mal erwähnt, aber (laut den Trackern des TV-Senders ABC) insgesamt 16 Mal indirekt angesprochen. «Du kannst dein Land nicht nur dann lieben, wenn du gewinnst», rief Biden seinem Vorgänger zu. Starker Stoff!
Trumps Nähe zu Putin und die von ihm orchestrierte Blockade der Migrationsdebatte seien allesamt brandgefährlich, mahnte Biden. «Wenn du zuschaust: Hilf mir, das Migrationsgesetz durchzubringen», sagte Biden direkt an Trump gerichtet. Der Hintergrund: Biden will den Grenzschutz verschärfen, doch Trump lässt das via seine Verbündeten im Senat blockieren, um den Demokraten Passivität vorwerfen zu können.
«Die Wahl ist einfach: Wir können entweder darüber streiten, wie wir die Grenze sichern wollen – oder wir können sie einfach sichern», sagte Biden.
Fazit: Trump wird schäumen!
Biden eilt den Palästinensern zu Hilfe
Breaking News verkündete Biden mit Blick auf die Lage im Nahen Osten. Er habe den amerikanischen Streitkräften den Befehl erteilt, einen temporären Hafen in Gaza zu errichten, um die Einfuhr humanitärer Güter «massiv erhöhen zu können».
In einer für einen US-Präsidenten sehr deutlichen Watsche in Richtung Jerusalem sagte er: «Israel ist dafür verantwortlich, die Zivilisten in Gaza zu schützen!» Es sei «herzzerreissend», was im Küstenstreifen derzeit geschehe. Biden stützte sich bei seiner Aussage über die «mehr als 30'000 Toten» auf die Zahlen der palästinensischen Behörden, die von Israel nicht bestätigt werden.
Fazit: Biden ergreift im Nahen Osten die Initiative.
Mit diesem zerstrittenen Haufen droht Amerika der Stillstand
«Bleibt bitte respektvoll!» Das hatte sich Mike Johnson (52), der Sprecher des Repräsentantenhauses, vom Parlament gewünscht. Ganz geklappt hats nicht. Die gehässigen Zwischenrufe von Republikanern konterte Biden zwar gelassen. Und von dem schreienden Zuschauer auf der Tribüne, der schnell abgeführt wurde, liess er sich nicht aus der Ruhe bringen.
Aber: Bei keinem einzigen Thema stimmten die Republikaner in die stehenden Klatschorgien der Demokraten mit ein (ausser ganz, ganz kurz bei Bidens Versprechen, alle israelischen Hamas-Geiseln nach Hause zu bringen). Das zeigt: Der amerikanische Entscheidungsapparat ist so gespalten wie nie zuvor. Die beiden Parteien blockieren sich, wo sie nur können.
Fazit: Das werden vier anstrengende Jahre – ganz egal, wer im Weissen Haus sitzt.
«Lincoln» oder «Laken»? Hats Biden eben doch nicht drauf?
Über weite Strecken hielt sich der US-Präsident an die sorgfältig ausgearbeiteten Sätze seiner Rede. Ab und an aber richtete der 81-Jährige seinen Blick weg von den Telepromptern und redete frei. Zum Beispiel, um sich mit der extremen Trump-Anhängerin Marjorie Taylor Greene (49) anzulegen. Und das ging schief.
Schon beim Einmarsch in den Saal streckte die Republikanerin Biden einen Anstecker mit dem Namen von Laken Riley zu. Die 22-jährige Studentin wurde im Februar von einem illegalen Migranten auf dem Gelände ihrer Uni ermordet und von Amerikas Rechten als neue Ikone im Kampf gegen die Migranten erhoben. Dass Biden sich bislang weigerte, über den Fall zu reden, machten ihm die Republikaner zum Vorwurf.
Jetzt aber redete Biden, hielt den Anstecker in die Kameras und sagte: «Lincoln Riley», also den falschen Namen. Das zeigt: Sobald er improvisieren muss, wirds rasch schwierig für Biden. Und: In den drei bereits festgelegten Debatten gegen Donald Trump im Herbst wird er keine Teleprompter haben.
Fazit: Allzu entspannt zurücklehnen dürfen sich Bidens Anhänger noch nicht!