Eben ist die Sonne über Texas aufgegangen. Auf einem Picknickplatz in der Nähe der Kleinstadt Normandy stehen 56 Menschen in drei Kolonnen. Frauen. Männer. Familien. Eine Handvoll Grenzbeamter notiert Namen und fotografiert Gesichter. «Nehmt die Mützen ab», sagt ein Grenzer auf Spanisch. Ein anderer nimmt Schnürsenkel und Haargummis ab. Niemand soll sich oder andere verletzen.
Die 56 Menschen waren in der Nacht über den Grenzfluss Rio Grande von Mexiko nach Texas geschwommen. Grenzpatrouillen haben sie aufgegriffen. So gelangen täglich Tausende in die USA – und sie spielen eine wichtige Rolle im aktuellen Wahlkampf.
Illegale Migration ist Hauptthema am Super Tuesday
Die illegale Migration bestimmt auch den Super Tuesday mit Vorwahlen in 15 US-Staaten. Die Republikaner und ihr Kandidat Donald Trump (77) sprechen von einer «kolossalen Krise» an der Grenze. Präsident Joe Biden (81) und die Demokraten wiegeln ab: «Wir müssen Migration human gestalten.»
Epizentrum der Debatte ist die Region um die Grenzstadt Eagle Pass am Rio Grande. Hier reden die Menschen überwiegend Spanisch. Auf der mexikanischen Seite des Flusses liegt Piedras Negras, eine Stadt mit vielen Zahnarztpraxen, in denen sich Amerikaner günstig die Zähne richten lassen.
Eine Brücke verbindet die Orte. Wer Papiere hat, kann zwischen beiden Ländern reisen. Wer nicht, watete bis vor kurzem an einer seichten Stelle durch den Fluss und war im Shelby Park von Eagle Pass.
Auch Grenzpatrouillen bringen wenig
Ende Januar entsandte der texanische Gouverneur Gregg Abbott (66) die Nationalgarde nach Eagle Pass und schloss den Park. Nun stehen hier gepanzerte Fahrzeuge. Soldaten patrouillieren. Im Fluss liegt Stacheldraht. Unlängst besuchte Trump das Fort und lobte den Gouverneur, weil niemand mehr durchkomme.
Jetzt schwimmen die Menschen einfach nördlich von Eagle Pass über den Rio Grande, etwa in Normandy. Hier tollt der dreijährige Samuel mit einem streunenden Hund über den Picknickplatz. Er lacht, obwohl er kaum geschlafen hat. Sein Vater Alex (25) trug ihn auf den Schultern über den Fluss, Mutter Estefania (28) nahm das Gepäck.
Mehr als einen Monat waren sie unterwegs gewesen von Ecuador in die USA, erzählt Estefania, eine Psychologin. Ihr Mann ist Lehrer. Sie haben den beschwerlichen Weg auf sich genommen, «weil es in Ecuador gefährlich ist».
Jetzt hoffen sie auf Asyl. Genau wie die Menschen neben ihnen: aus Kolumbien und Honduras, Haiti und Venezuela. Sie steigen in einen Reisecar, der sie in ein Transitlager bringt.
Kaum sind sie weg, bringen Pick-ups 30 weitere Personen. Grenzwächter stellen sie in drei Reihen. Männer, Frauen, Familien. Niemand wehrt sich, die Stimmung ist friedlich. Sie sind an ihrem Ziel: «In Amerika».
Amerikaner sind wegen Grenze besorgt
Wie eine grüne Schlange windet sich der Rio Grande durch karges Land. Wegen Stromschnellen ist es schwierig, ihn zu durchschwimmen. Am US-Ufer wächst Zuckerrohr, dahinter stehen Stacheldrahtzäune. Auf dem Boden liegen Schuhe und Kleider, die Migranten wegwarfen. Schilder mit der Aufschrift «Siga el Camino» – folgt dem Weg – weisen zur Strasse, wo Grenzwächter warten.
Viele Amerikaner sind besorgt wegen der Grenze. Wegen Drogen, die ins Land gelangen und Männern, die gefährlich seien. Das zeigen Umfragen, und das zeigen Aussagen von Menschen, die an der Grenze leben.
Jimmy Hobbs (77) kam am Rio Grande zur Welt. Am Fluss liegt die Ranch, die seit Generationen seiner Familie gehört. Im Garten steht ein «Trump 2024»-Schild. Er baut Zwiebeln und Wassermelonen an. «Jeden Tag betreten Migranten mein Land», sagt Hobbs, eine Baseballkappe schützt sein Gesicht vor der Sonne.
Viel könne er nicht tun, «ausser ihren verdammten Müll aufsammeln». Die Schuld «am Schlamassel» trage Biden. «Er lässt jeden rein, damit sie seine Partei wählen.» Er ist sicher: «Ist Trump wieder Präsident, endet das Chaos.»
Demokraten und Republikaner kämpfen um Stimmen
Juanita Martinez (67) betritt das Büro der Demokraten in Eagle Pass. Die örtliche Vorsitzende der Partei trägt Jeans und ein Jeanshemd, an der Leine führt sie ihren Hund Oliver. Sie hat den Napf vergessen, sagt «sorry Obama», nimmt einen Teller mit dem Gesicht des Ex-Präsidenten von der Wand, giesst Wasser rein und stellt ihn vor Oliver.
Sie habe Politik im Blut. «Ich bin in Eagle Pass geboren, hier lebe und kämpfe ich.» Ihr Gegner sei der texanische Gouverneur. «Abbott missbraucht Eagle Pass für politische Propaganda, indem er von Invasion spricht. Sein Fort konnte er nur bauen, weil wir eine schwache Stadtregierung haben.»
Die Zeche bezahle Eagle Pass. Reporter aus der ganzen Welt seien hier, «um eine Invasion zu finden, die es nicht gibt». Dazu Soldaten und Polizisten. Die Preise seien explodiert. Ein Hotelzimmer, das einst 100 Dollar kostete, gehe jetzt für 300 Dollar weg.
Das Kalkül der Republikaner geht auf, weiss die Demokratin. «Wir verlieren Stimmen.» Viele junge hispanische Männer würden Trump mögen. Martinez schüttelt den Kopf. «Hispanics folgen einem Mann, der rassistisch und verrückt ist.»
Das Hauptquartier der Republikaner liegt etwas ausserhalb des Zentrums. Sandy Sassano (60) sitzt vor einem Plakat, das den grimmigen Donald Trump zeigt, dazu die Aufschrift «Never Surrender», ergib dich nie. «Das Blatt hat sich in Eagle Pass zu unseren Gunsten gewendet», sagt die örtliche Parteipräsidentin. Die Zahl der republikanischen Wähler habe sich dieses Jahr verzehnfacht. «Wegen dem, was an der Grenze passiert», ist Sassano sicher. «Viele, die Biden wählten, wechseln jetzt zu Trump.»
Weil er sage, was viele denken. «Die Migranten bekommen kostenlose Unterkunft, Essen und medizinische Versorgung. Und wer bezahlt das? Wir!» Sie will alle nach Mexiko zurückschicken, die illegal ins Land gekommen seien. «Sie müssen im ersten Land, das sie betreten, um Asyl bitten – und das sind nicht die USA.»
Ist Migrationskrise gar nicht so schlimm?
Seit 20 Jahren lebt Jerry Fischer (40) am Grenzfluss. Aus Idaho war sie hierhergezogen, um auf der Militärbasis zu arbeiten. Im Garten grasen Pferde, daneben spielt ihre zehnjährige Tochter. Es sei hier nicht gefährlicher als in anderen Grenzstädten. Sie hat das Zuckerrohr gestutzt, damit sich Immigranten nicht verstecken können. Die Türen schliesst sie ab. Ihre Nachbarn würden zu ihr schauen. «Jeder, der am Fluss lebt, hat eine Waffe. Er wird sie benutzen, wenn jemand sein Grundstück betritt.»
Seit einer Woche erst wohnt Mayra Saldivar (29) am Rio Grande. Sie ist mit ihrem Mann und ihrer neunjährigen Tochter hergezogen. Sie hat eine neue Stelle in einem Café gefunden, die Familie konnte ein Haus erwerben. «Was die Medien über die Grenze berichten, ist übertrieben», sagt sie. «Wir stellen ein paar Kameras auf, das reicht.»