Annähernd eineinhalb Jahre nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug im norddeutschen Brokstedt wird für Mittwoch das Urteil gegen den mutmasslichen Täter erwartet. Ibrahim A. (34) muss sich wegen zweifachen Mordes, vierfachen Mordversuchs und Körperverletzungsdelikten vor dem Landgericht in Itzehoe verantworten. Die Staatsanwaltschaft forderte lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schuldschwere, was eine vorzeitige Entlassung ausschliesst.
Die Verteidigung sprach sich hingegen für einen formalen Freispruch und eine Unterbringung in der Psychiatrie aus. Sie hält A. für psychisch krank und nicht schuldfähig. Die Staatsanwaltschaft sieht dafür keine Anhaltspunkte und stützt sich dabei auf das Gutachten eines vom Gericht beauftragten psychiatrischen Sachverständigen, der keine tatrelevante Einschränkung der Schuldfähigkeit bei dem Beschuldigten diagnostizierte.
Zeugen überwältigten Täter
Auch das Gericht sah nach eigenen Angaben bislang keine Hinweise auf eine möglicherweise doch vorliegenden eingeschränkte Schuldfähigkeit. Einen Antrag der Verteidigung auf Einholung eines zweiten Expertengutachtens lehnte es unmittelbar vor der Schliessung der Beweisaufnahme ab. Es habe keine Zweifel an der Sachkunde des ursprünglich beauftragten Gutachters. Dieser habe sich «überzeugend» mit den Sachverhalten auseinandergesetzt.
Bei der Attacke am 25. Januar vergangenen Jahres waren eine Jugendliche und ein Jugendlicher im Alter von 17 sowie 19 Jahren gestorben, mehrere Menschen wurden teilweise lebensgefährlich verletzt. A. wurde nach einem Halt des Zugs im Bahnhof von Brokstedt von Zeugen überwältigt und festgenommen.
Die Staatsanwaltschaft geht von heimtückischen Verbrechen aus niedrigen Beweggründen aus. Der Angeklagte habe fremde Menschen in einer «absoluten Alltagssituation» während der Zugfahrt aus Frust über seine schwierige Lebenssituation töten wollen, sagte deren Vertreterin in ihrem Plädoyer.
Täter galt als obdachlos
Das Gericht hatte zuvor in einem sogenannten rechtlichen Hinweis darauf verwiesen, dass alternativ zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auch der Sonderfall eines anlasslosen Tötens um des reinen Tötens willen erfüllt sein könnte. Dies betrifft aber nur rechtliche Detailfragen. Im Fall des getöteten Jugendlichen könnte demnach auch der Heimtückevorwurf entfallen.
Der tödliche Messerangriff von Brokstedt hatte sich während der Rückfahrt des Beschuldigten von einem vergeblichen Behördenbesuch in Kiel ereignet, wo der als Flüchtling bereits seit 2014 legal in Deutschland lebende Angeklagte erfolglos wegen der Verlängerung eines Dokuments vorgesprochen hatte. Er war nur wenige Tage zuvor in Hamburg aus etwa einjähriger Untersuchungshaft entlassen worden und galt als obdachlos. (AFP)