Bachmut muss die Hölle sein. Die Verluste sind extrem hoch, wird berichtet. Auf beiden Seiten. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) wagte sich trotzdem in die seit Monaten heftig umkämpfte Stadt in der Ostukraine. Sein Sprecher Sergej Nikiforow erklärte am Dienstag: «Er besuchte die Stellungen an der Front und zeichnete die Kämpfer mit Ehrungen und wertvollen Orden aus.»
Der Truppenbesuch am 300. Kriegstag war überraschend. Aus Sicherheitsgründen war er im Vorfeld nicht angekündigt worden. Erst am Montag hatte Selenski Bachmut als «heissesten Punkt» der Front bezeichnet. Für Marcel Berni (34), Strategieexperte an der Militärakademie der ETH Zürich, demonstriert Selenski mit seinem Abstecher nach Bachmut Stärke. «Das ist der wohl wagemutigste Frontbesuch Selenskis in diesem Krieg», sagt Berni zu Blick.
Abgrenzung von Putin
Neben den regulären Truppen des russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) kämpft auch die berüchtigte Wagner-Gruppe an der Front in Bachmut. Mit dem «riskanten Besuch», sagt Berni, wolle Selenski der Welt zeigen, dass die ukrainische Front in Bachmut halte. Ausserdem: «Mit seiner Truppennähe grenzt sich Selenski stark von Putin ab.»
Bachmut liegt in Donezk. Das ist eine der vier ukrainischen Regionen, die Putin im September für annektiert erklärte. Die russischen Truppen kontrollieren diese sogenannten Oblaste aber nur teilweise. Um Bachmut toben schon seit dem Sommer heftige Kämpfe – ohne grössere Bewegungen der Frontlinie.
Symbol des Widerstands?
«Die Stadt ist seit Monaten umkämpft und versperrt den Russen den weiteren Vormarsch in Richtung Slowjansk und Kramatorsk», sagt Berni. «Dass ein Besuch des Präsidenten in diesem äusserst umkämpften Frontabschnitt möglich ist, ist eine moralische und militärische Schlappe für die Wagner-Gruppe und die russischen Verbände vor Ort.» Bachmut dürfte laut dem Strategieexperten zum «Symbol des ukrainischen Widerstands» werden.
In einem vom ukrainischen Telegram-Kanal «Freedom» verbreiteten Video erklärt Selenski, er wünsche «den Soldaten, ihren Familien und Kindern, dass sie ein normales Leben führen können». Zudem wünsche er ihnen, dass sie warm hätten und gesund blieben. «Es wäre auch schön, wenn es hell wäre, doch die aktuelle Situation ist sehr schwierig», sagt er in Bezug auf die Elektrizitätsversorgung, die von den russischen Truppen immer wieder unter Beschuss genommen wird. «Aber das Wichtigste ist, dass es in unseren Herzen hell ist», so Selenski.
Moskau stellt Verstärkung in Aussicht
Die Frage, weshalb er zu den Soldaten ins Kriegsgebiet gereist sei, beantwortet Selenski mit den Worten: «Sie schützen unsere Leben, indem sie ihre hergeben. Wir können immerhin ab und zu unser eigenes Leben riskieren.»
Putin verlieh derweil im sicheren Kreml Orden – unter anderem an die von Moskau ernannten Statthalter der für annektiert erklärten ukrainischen Regionen. Die in der Ukraine im Einsatz stehenden russischen Soldaten bezeichnete er dabei als «Helden». Bereits zuvor hatte Putin in Aussicht gestellt, mehr Militärgerät und Personal in die umkämpften Gebiete zu schicken.