Auf einen Blick
- Zweifel an Verurteilung von Krankenschwester Lucy Letby für die Kindermorde zwischen 2015 und 2016
- Experte Dr. Shoo Lee kritisiert Interpretation seines Artikels im Prozess
- 14 internationale Experten aus 6 Ländern untersuchen Beweise erneut
Zwischen Juni 2015 und Juni 2016 hielten die ungewöhnlich hohen Todesfälle unter Kindern im Countess-of-Chester-Spital im Nordwesten Englands ganz Grossbritannien in Atem. Ein Gericht verurteilte im Juli 2024 die damalige britische Krankenschwester Lucy Letby (35) wegen Mordes an sieben Babys, sechs weitere überlebten.
Kurz danach wurden kritische Stimmen laut, die an der Verurteilung der Ex-Krankenschwester zweifeln. So sah niemand die Krankenschwester den Babys Schaden zufügen, der Prozess stützte sich nur auf forensische Indizien. Allerdings zeigen Beweise, dass die verurteilte Letby bei einem Drittel der Todesvorfälle gar nicht im Dienst gewesen war. Dies wurde jedoch der Jury am Prozess nicht vorgetragen, wie die britische «Daily Mail» berichtet.
Am Sonntag berichtet die «The Sunday Times» von einer weiteren gewichtigen Stimme, die an der Schuld von Letby zweifelt. Dr. Shoo Lee ist Neonatologe im Ruhestand und lebt derzeit in Alberta, Kanada.
Fachartikel half bei Verurteilung
Lee hatte vor Jahren einen Fachartikel über Luftembolie bei Neugeborenen veröffentlicht, der am Prozess eine gewichtige Stütze für die Anklage war. In seinem Artikel beschrieb er unter anderem das typische Hautbild, welches bei Lungenembolien auftritt. Seine Veröffentlichung trug rund 30 Jahre später dazu bei, dass die 35-jährige Britin in Manchester 2023 zur lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde.
Die junge Frau soll den Neugeborenen unter anderem Luft in die Blutbahn gespritzt und so eine Lungenembolie hervorgerufen haben, wie die damalige Staatsanwaltschaft und eine ehemalige Kinderärztin erklärten. Dabei stützten sie sich auf Dr. Lees Artikel – ohne sein Wissen.
Nun wandte sich das Verteidungsteam von Letby an Lee, um die Beweismittel zu sichten und zu beurteilen, ob diese richtig interpretiert worden waren. Er verneinte. «Ich habe mir [die Gerichtsprotokolle] angesehen und war nicht sehr zufrieden, denn was sie interpretierten, war nicht genau das, was ich gesagt habe», erklärt der ehemalige Neonatologe der «Sunday Times».
Babys könnten an natürlichen Ursachen gestorben sein
Laut seines Ermessens hätte bei den Säuglingen «keine Lungenembolie diagnostiziert werden dürfen», da es sich dabei um eine seltene Erkrankung handle und die Hautbilder der Säuglinge nicht zu seinem im Artikel beschriebenen Hautbild passten. Bedeutet: Die Babys könnten an natürlichen Ursachen gestorben sein – und nicht durch Letbys Hand.
Um seine Vermutung zu untermauern, brachte Dr. Lee ein Gremium aus rund 14 internationalen medizinischen Experten aus sechs Ländern zusammen, darunter den Vereinigten Staaten, Kanada, Japan, Schweden, Deutschland und dem Vereinigten Königreich, wie «The Sunday Times» berichtet. Diese sichteten die Akten und kamen bei den meisten Todesfällen zu einem anderen Ergebnis, als die Anklage im Prozess vortrug.
Zusammen mit dem konservativen Abgeordneten David Davis, welcher die Wiederaufnahme des Verfahrens fordert, will das Gremium seine Ergebnisse am Dienstag vortragen. Ob der Fall nochmal neu aufgerollt wird, ist unklar.