Wohl selten zuvor war sich die versammelte Weltelite in Davos in so vielem so einig wie dieses Jahr: Russland ist böse, AI ist die Zukunft, das Klima ist wichtig. Niemand am Weltwirtschaftsforum (WEF) äusserte die geringsten Zweifel an diesen Punkten – ausser der argentinische Präsident Javier Milei (53), dem der Klimaschutz egal zu sein scheint.
Ein Thema aber spaltet die weltweite Führungsriege gewaltig. So sehr, dass es einen wundert, dass in der geheizten Kongresshalle nicht die Fetzen oder gar die Fäuste flogen.
Der Nahe Osten, Problemkind der Welt seit Jahrzehnten, jüngst wieder hautnah an die Eskalation herangerückt. Auf der einen Seite steht Israel, am WEF vertreten durch Präsident Isaac Herzog (63). Mit Blick auf die Hamas gab sich der gemässigte Politiker hammerhart: «Diese barbarischen Dschihadisten wollen nicht nur uns schaden, sie wollen auch euch in Europa angreifen», warnte Herzog.
Brutale Videovorführung ist zu viel fürs WEF-Publikum
Seit Monaten führt die israelische Armee einen erbitterten Kampf gegen die Hamas im Gaza-Streifen als Vergeltung für die Terroranschläge vom 7. Oktober. «Es schmerzt uns, zu sehen, wie sehr unsere Nachbarn leiden», betonte Herzog mit Blick auf die 24'000 getöteten Menschen in Gaza und die drohende Hungersnot im Küstenstreifen. «Aber in jedem Haus, in das wir reingehen, finden wir Terror-Ausrüstung, unter den Betten liegen Raketen.» Solange die Hamas in Gaza präsent sei, gäbe es keinen Frieden.
Am Rande des WEF zeigte Israel den Film «Bearing Witness» («Zeuge sein»), einen 45-minütigen Zusammenschnitt von Videomaterial, aufgenommen von Hamaskämpfern und israelischen Kibbuz-Bewohnern am 7. Oktober. Mehr als die Hälfte der Zuschauenden verliess die Vorführung während des Films. Zu brutal, zu verstörend war das Videomaterial, mit dem Israel die grausigen Bilder toter Kinder aus dem zerstörten Gaza zu kontern versucht.
Auf der anderen Seite der hitzigen Nahostdebatte steht der Iran, in Davos vertreten durch Aussenminister Hossein Amir-Abdollahian (59). Sein Regime verübte diese Woche Raketenanschläge auf Ziele in Syrien, Pakistan und Irak – angeblich, um dortige Stellungen des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad auszuschalten.
Amerikas Bekenntnis freut die Palästinenser
Angesprochen auf die Eskalationsgefahr sagte Amir-Abdollahian in einer WEF-Diskussion: «Eine Eskalation ist jederzeit möglich. Die Lösung ist klar: Israel muss den Krieg stoppen und die humanitären Korridore öffnen.» Der iranische Aussenminister sprach von einem «Genozid im Gazastreifen» und sprach Israel das Existenzrecht ab.
Die Ausgangslage ist maximal unversöhnlich, die Anspannung gewaltig. «Die Weltgemeinschaft muss den Krieg in Gaza rasch beenden, das Eskalationsrisiko ist riesig», urteilt Geir Pedersen (68), norwegischer Uno-Sondergesandter für Syrien. Um die Situation zu stabilisieren, müsse Israel seine Siedlungspolitik in Palästina sofort beenden und konkrete Vorschläge für eine Zweistaatenlösung präsentieren.
Ähnliche Töne kamen vom amerikanischen Aussenminister Antony Blinken (61). «Ohne einen eigenen Staat für die Palästinenser wird sich die Situation nicht stabilisieren», betonte der US-Spitzendiplomat. So dringlich das Problem ist, so weit weg liegt die Lösung. Zu direkten Gesprächen zwischen den zerstrittenen Parteien kam es am WEF offenbar nicht. Der Davoser Geist reicht nicht aus, um die schwelende Lunte am Pulverfass Naher Osten zu löschen.