So mancher internationaler Beobachter mag sich die Augen reiben. Jahrenlang galt die Bundesrepublik als Lokomotive in der Weltwirtschaft, als Exportweltmeister. Sie diktierte den politischen Kurs in der EU, war ein weltweit respektierter globaler Player. Deutschland schien immer alles richtig zu machen.
Seit das Land aber eine Regierungskoalition aus völlig unterschiedlichen Partnern wagte, hangelt sie sich von einer nahenden Katastrophe zur anderen. Die Industrie schwächelt. Fortschritt stagniert. Inflation schwächt die Kaufkraft. Und das Bruttoinlandsprodukt schrumpft.
Der einstige Musterknabe Deutschland stolpert. Nicht nur, weil ständig neue Krisen den Durchmarsch behindern, sondern auch, weil sich die Bündnispartner immer wieder aufs Neue zusammenraufen müssen.
Nachtragshaushalt noch vor Weihnachten
Ob Ukraine-Konflikt, Energieschock, Klimaziele, Wirtschaftstransformation, Sozialpolitik, Migrationsfrage – bei jeder Herausforderung fliegen politisch die Fäuste. Auch bei der neuesten Krise, dem milliardengrossen Haushaltsloch, klaffen die Ansichten der Koalitionspartner weit auseinander.
Doch aufgeben will keiner. Noch vor Weihnachten soll der hastig im Kabinett verabschiedete Nachtragshaushalt für 2023 durchs Parlament gepeitscht werden. Auch der Etat für 2024 soll möglichst noch in diesem Jahr in trockene Tücher. Was dieser jedoch genau beinhaltet, darüber ist sich die Ampel noch gar nicht einig.
Und so hecheln in diesen Tagen Bundeskanzler Olaf Scholz (65) von der SPD, sein Vize und grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck (54) sowie FDP-Finanzminister Christian Lindner (44) in täglichen Verhandlungen durch eine neue Etappe ihres Krisenmarathons.
Diese Etappe hatte das Bundesverfassungsgericht angepfiffen. Nicht beanspruchte Coronahilfen durften nicht an den Klimafonds umgewidmet werden, so das Urteil Mitte November. Die Konsequenz: Dem Staat fehlen insgesamt 60 Milliarden Euro. Allein für 2024 müssen 17 Milliarden Euro herbeigezaubert werden.
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Deutscher Klima-Minister fehlt auf Weltklimakonferenz
Die Lage ist so ernst, dass Deutschlands Klima-Minister Robert Habeck sogar kurzfristig seine Teilnahme an der 28. UN-Klimakonferenz in Dubai absagte. Stattdessen wird im Hinterstübchen um Lösungen gerungen. Eine wurde für den Nachtragshaushalt gefunden: die Notlage. Ukraine-Krieg, Klimawandel und Energiekrise seien ja nicht aus der Welt.
Die FDP will für den neuen Etat sparen, vor allem im Sozialbereich, bei internationalen Hilfen und staatlichen Förderprogrammen. Sie hält an der Schuldenbremse fest und lehnt Steuererhöhungen ab. SPD und Grüne hingegen setzen weiter auf Subventionen, wollen Geld in Wirtschaft und Gesellschaft pumpen. Das hiesse neue Schulden, also Schuldenbremse aussetzen oder auch für 2024 eine neue Notlage beantragen.
Ein heikles Unterfangen. Denn das harsche Urteil aus Karlsruhe verdankt die Ampel der Opposition. Die CDU hatte wegen der zweckentfremdeten Corona-Mittel geklagt. Ihr Ziel hat sie erreicht. Das desaströse Haushaltsloch bringt einmal mehr die Ampel ins Wanken. Vor einer neuen Notlage warne auch der Bundesrechnungshof, berichtet die Bild-Zeitung. Der Nachtragshaushalt sei, so die oberste Bundesbehörde, «verfassungsrechtlich äusserst problematisch».
Eine neue Notlage könnte somit eine neue Klage vor dem Verfassungsgericht mit sich ziehen. Damit hat Friedrich Merz (68) am Montag in Berlin gedroht. Der CDU-Chef geht noch einen Schritt weiter und fordert vorgezogene Neuwahlen. Am besten schon im Juni 2024 zeitgleich mit der Europawahl. Und mit einem neuen Kanzlerkandidaten: Friedrich Merz.