Nach vier Jahren Trump-Schimpferei
Atempause für die Welt unter «President elect» Biden

Joe Biden wird erst am 20. Januar als Präsident der USA vereidigt, doch schon jetzt atmet die Welt auf. Vier turbulente politische Jahre gehen zu Ende, die auch um den Erdball Wellen schlugen. Was bleibt von der Ära Trump?
Publiziert: 08.11.2020 um 04:45 Uhr
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Aktualisiert: 08.11.2020 um 10:14 Uhr
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Amerikas nächste Vizepräsidentin Kamala Harris nennt «President elect» Joe Biden einen «Heiler».
Foto: AFP

Joe Biden wird erst in zweieinhalb Monaten als Präsident der USA vereidigt, doch schon bei seiner Siegesrede gibt sich der 77-Jährige präsidial. «Ich werde genauso hart für diejenigen arbeiten, die für mich gestimmt haben, wie für diejenigen, die nicht für mich gestimmt haben», sagt der Demokrat am Samstagabend (Ortszeit) in seinem Heimatort Wilmington. «Wir müssen aufhören, unsere Gegner als Feinde zu sehen.» Biden legt eine Empathie an den Tag, wie sie Noch-Amtsinhaber Donald Trump (74) – der auf Twitter Gift und Galle spuckt – nie gezeigt hat.

Ein Präsident aller Amerikaner?

Trump selber will sich juristisch gegen die Niederlage wehren, gänzlich ausgestanden ist der Machtkampf ums Weisse Haus also noch nicht. Dass aber selbst Trumps Haussender «Fox News» in der Nacht zu Sonntag das Banner «Biden zum 46. Präsidenten gewählt» im laufenden Programm zeigt, lässt erahnen, wohin die Reise geht.

Biden gibt seit Tagen einen Vorgeschmack darauf, wie seine Amtszeit aussehen könnte. Er wolle Präsident aller Amerikaner sein. Das hat Trump einst auch versprochen. Der Unterschied: Bei Biden wirkt es glaubwürdig. Der ehemalige Vize von Barack Obama sagt, nun sei es an der Zeit, «die brutale Rhetorik des Wahlkampfs hinter uns zu lassen, die Temperatur zu senken».

24'700 Trump-Tweets

Unter Trump ist die Betriebstemperatur in den USA in der Politik, aber auch in der Gesellschaft in den roten Bereich gestiegen. Alleine das Dauergewitter auf Twitter: Trump verkündet weltpolitische Entscheidungen über sein Konto @realdonaldtrump. Er feuert Minister, er wiegelt auf und er bewegt die Märkte mit seinen nie enden wollenden Tweets.

Das Trump-Twitter-Archiv hat mitgezählt: Als Präsident hat Donald Trump über seinen (privaten) Account bislang mehr als 24'700 Botschaften abgesetzt, in den vergangenen Monaten waren es im Schnitt 43 am Tag. Mehr als 180 Menschen hat er per Tweet beleidigt - «könnte in Tennessee nicht zum Hundefänger gewählt werden», lautete eine. Mehrere davon schrieb öfter als einmal.

Trump zwingt Fakten-Checker in die Knie

Trump kann nicht nur ausfallend werden. Kein Geheimnis ist auch, dass er ein gespaltenes Verhältnis zur Wahrheit hat. Er lügt, und zwar in einem Ausmass, dass er die Fakten-Checker der «Washington Post» in die Knie gezwungen hat. Deren Team-Mitglieder teilten am 23. Oktober mit, dass sie mit ihrer Prüfung acht Wochen hinten lägen und ihre Datenbank vor der Wahl nicht mehr aktualisieren könnten.

In den 1316 Tagen von seiner Vereidigung bis zum Parteitag der Republikaner im August haben die Fakten-Checker Trump 22'247 falsche oder irreführende Aussagen nachgewiesen. Am Ende des geprüften Zeitraums – mitten im Wahlkampf – waren es mehr als 50 am Tag.

Biden verglich Trump im Wahlkampf mit Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels. «Er ist so in etwa wie Goebbels», sagte Biden dem Sender MSNBC. «Man erzählt eine Lüge lange genug, wiederholt sie, wiederholt sie, wiederholt sie – und sie gilt als Allgemeinwissen.»

Keine Atempause unter Trump

Unter Trump kamen nicht nur die USA fast vier Jahre lang nicht zum Durchatmen, sondern die ganze Welt. Nur ein kleiner Ausschnitt seiner aussenpolitischen Kehrtwendungen: Trump löste einseitig das internationale Atomabkommen mit dem Iran auf, Jerusalem erkannte er als Hauptstadt Israels an.

Er drohte mit dem Austritt aus der Nato, und weil er die deutschen Verteidigungsausgaben für zu gering hielt, kündigte er den Abzug von rund einem Drittel der US-Soldaten aus der Bundesrepublik an. Den «kleinen Raketenmann» Kim Jong Un (36) warnte Trump, er werde «Feuer und Zorn» über Nordkorea bringen. Später - nachdem er Kim getroffen hatte – sagte er: «Wir haben uns verliebt.»

Immer gibt es noch einen Tweet, noch eine Behauptung, noch eine Äusserung Trumps, die wieder die Nachrichten dominiert und die öffentliche Diskussion bestimmt. Der US-Präsident hat Themen gesetzt, von denen man gar nicht ahnte, dass sie welche sein könnten: Etwa, als er den Dänen im vergangenen Jahr Grönland abkaufen wollte – und dann einen Besuch in Kopenhagen pikiert absagte, als die erstaunten Grönländer und Dänen abwinkten.

Ende der Dunkelheit

Im Wahlkampf versprach Biden, die USA nach vier Jahren Trump aus der «Zeit der Dunkelheit» zu führen. «Wir sind fertig mit dem Chaos, den Tweets, der Wut, dem Hass, dem Versagen, der Weigerung, jegliche Verantwortung zu übernehmen», sagte er. «Jeder weiss, wer Donald Trump ist. Lasst uns zeigen, wer wir sind.» Obwohl inzwischen wirklich jeder weiss, wer Donald Trump ist und für was er steht, stimmte allerdings immer noch fast jeder zweite Wähler für ihn.

Die Gräben in der Gesellschaft

Die Frage, ob man für oder gegen Trump ist, hat Familien gespalten und Freundschaften zerbrechen lassen, das erzählen Amerikaner immer wieder. Das war nicht immer so. Gräben gab es in den USA auch vor Trump, unbestritten ist aber, dass sie in seiner Amtszeit tiefer geworden sind.

Die Überwindung dieser Spaltung dürfte eine der grössten Herausforderungen für Biden werden. Der langjährige Senator trat im Wahlkampf mit diesem Versprechen an: «Das ist unsere Gelegenheit, die dunkle, wütende Politik der letzten vier Jahre hinter uns zu lassen und Hoffnung statt Angst, Einheit statt Spaltung, Wissenschaft statt Fiktion zu wählen.»

Obamas Versprechen

Trump-Vorgänger Barack Obama (59) hatte sich im Wahlkampf für seinen früheren Stellvertreter und dessen Vize-Kandidatin Kamala Harris (56) ins Zeug gelegt. Bei einem Auftritt in Philadelphia versprach Obama den Wählern eine Verschnaufpause nach den wüsten Trump-Jahren. «Mit Joe und Kamala an der Spitze werden Sie nicht mehr jeden Tag über die verrückten Dinge nachdenken müssen, die sie gesagt haben, und das ist viel Wert.»

Das Duo werde «einfach nicht mehr so anstrengend» sein. Und für das traditionell im Kreis der Familie gefeierte Erntedankfest in knapp drei Wochen stellte Obama seinen Landsleuten in Aussicht: «Womöglich könnten Sie ein Thanksgiving-Dinner haben, ohne zu streiten.» (kes/SDA)

Was von Biden zu erwarten ist

Joe Biden trat mit dem Versprechen an, als US-Präsident die Politik von Donald Trump in vielen Bereichen umzukehren. Darüber hinaus will er auch eigene Akzente unter anderem bei der Klimapolitik setzen. Ein Überblick:

Coronavirus

Im Wahlkampf hat Biden dem Präsidenten Versagen und Untätigkeit im Kampf gegen die Pandemie vorgeworfen. Von Januar an wird er voraussichtlich beweisen müssen, dass er es besser kann - vermutlich aus einer schwierigen Situation heraus. In der Woche der Präsidentenwahl erreichte die Zahl der täglichen Neuinfektionen Rekordstände von mehr als 120'000. Die Trump-Regierung versuchte zuletzt kaum noch, die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen. Biden will dagegen massiv auf das Tragen von Masken setzen, um die Ausbreitung einzudämmen. Zunächst will er Masken in staatlichen Einrichtungen vorschreiben und bei Gouverneuren für strikte Vorgaben in den Bundesstaaten werben. Ausserdem soll mehr getestet werden - und Wissenschaftler wie der Immunologe Anthony Fauci (79) sollen mehr Einfluss auf die Politik bekommen.

Wirtschaft

Trump reklamierte für sich, «die grösste Wirtschaft in der Geschichte» geschaffen zu haben, unter anderem durch niedrigere Steuern. Biden machte dagegen klar, dass er Reiche zur Kassen bitten will, um Sozialprogramme und den Ausbau des Gesundheitswesens zu finanzieren. «Wer weniger als 400'000 Dollar (rund 428'000 Franken) pro Jahr verdient, bezahlt keinen Cent mehr», verspricht Biden. Die von Trump gesenkte Unternehmensteuer soll hingegen von 21 auf 28 Prozent angehoben werden. Im Wahlkampf prangerte Biden immer wieder an, dass grosse Konzerne nicht ihren fairen Anteil an Steuern zahlten. Als Erstes könnte Biden aber gegensteuern müssen, wenn zu seinem Amtsantritt im Januar die Wirtschaft unter den Folgen der wieder ausufernden Corona-Infektionen leiden sollte.

Gesundheitswesen

Die Republikaner kämpfen seit Jahren dafür, die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama zu kippen, die rund 20 Millionen Amerikaner eine Krankenversicherung brachte - aber zum Teil auch höhere Zahlungen. Bidens Name ist fest mit dieser Reform verbunden, unter anderem weil er daran arbeitete, sie durch den Senat zu bringen. Biden kündigte unterdessen an, "Obamacare" noch auszuweiten, vor allem für Geringverdiener. Zugleich könnte er ein ganz neues Gesetz brauchen, falls die Reform vom Obersten Gericht gekippt wird.

Rassismus

Der bei Afroamerikanern populäre Biden sagte im Wahlkampf ganz klar, dass es in den USA Rassismus gebe, der in den Institutionen verankert sei. Er wolle unter anderem mit einer Polizeireform und besseren wirtschaftlichen Bedingungen für Schwarze gegensteuern.

Umwelt und Energie

Biden kündigte an, die USA wieder ins Klimaabkommen von Paris zurückzubringen, das Trump verlassen hatte. Im zweiten TV-Duell sagte der Demokrat zudem, dass er das Land auf lange Sicht aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen führen und stattdessen stärker auf erneuerbare Energien setzen wolle - Worte, die ihn möglicherweise Stimmen in Bundesstaaten mit einer starken Öl- und Gasindustrie wie Pennsylvania gekostet haben. Biden will auch staatliche Subventionen für die Branche abschaffen.

Aussenpolitik

Trump kündigte den Atom-Deal mit dem Iran auf, verschärfte die Konfrontation mit China, zog sich aus der Unesco und der Weltgesundheitsorganisation zurück, strapazierte die Beziehungen zu den Nato-Verbündeten. Das ist der Kurs, den Biden umkehren würde. Er muss zugleich einen eigenen Kurs im Umgang mit Nordkorea und Russland entwickeln - und wie er mit der Nahostpolitik seines Vorgängers umgeht, der sich als Friedensstifter in der Region versuchte.

Einwanderung

Bidens Vorhaben ist unter anderem, wieder mehr Menschen, die ohne Papiere in den USA leben, den Weg zur Staatsbürgerschaft zu öffnen. Er wird dafür vieles aus Trumps Politik der vergangenen vier Jahre umkehren müssen. Biden dürfte dafür sorgen, dass wie vor Trump vor allem diejenigen unter illegal ins Land gekommenen Einwanderer abgeschoben werden, die Straftaten begangen haben. Und er sagte, dass er die Finanzierung von Trumps Paradeprojekt - des hohen Zauns an der Grenze zu Mexiko - einstellen werde. (SDA)

Joe Biden trat mit dem Versprechen an, als US-Präsident die Politik von Donald Trump in vielen Bereichen umzukehren. Darüber hinaus will er auch eigene Akzente unter anderem bei der Klimapolitik setzen. Ein Überblick:

Coronavirus

Im Wahlkampf hat Biden dem Präsidenten Versagen und Untätigkeit im Kampf gegen die Pandemie vorgeworfen. Von Januar an wird er voraussichtlich beweisen müssen, dass er es besser kann - vermutlich aus einer schwierigen Situation heraus. In der Woche der Präsidentenwahl erreichte die Zahl der täglichen Neuinfektionen Rekordstände von mehr als 120'000. Die Trump-Regierung versuchte zuletzt kaum noch, die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen. Biden will dagegen massiv auf das Tragen von Masken setzen, um die Ausbreitung einzudämmen. Zunächst will er Masken in staatlichen Einrichtungen vorschreiben und bei Gouverneuren für strikte Vorgaben in den Bundesstaaten werben. Ausserdem soll mehr getestet werden - und Wissenschaftler wie der Immunologe Anthony Fauci (79) sollen mehr Einfluss auf die Politik bekommen.

Wirtschaft

Trump reklamierte für sich, «die grösste Wirtschaft in der Geschichte» geschaffen zu haben, unter anderem durch niedrigere Steuern. Biden machte dagegen klar, dass er Reiche zur Kassen bitten will, um Sozialprogramme und den Ausbau des Gesundheitswesens zu finanzieren. «Wer weniger als 400'000 Dollar (rund 428'000 Franken) pro Jahr verdient, bezahlt keinen Cent mehr», verspricht Biden. Die von Trump gesenkte Unternehmensteuer soll hingegen von 21 auf 28 Prozent angehoben werden. Im Wahlkampf prangerte Biden immer wieder an, dass grosse Konzerne nicht ihren fairen Anteil an Steuern zahlten. Als Erstes könnte Biden aber gegensteuern müssen, wenn zu seinem Amtsantritt im Januar die Wirtschaft unter den Folgen der wieder ausufernden Corona-Infektionen leiden sollte.

Gesundheitswesen

Die Republikaner kämpfen seit Jahren dafür, die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama zu kippen, die rund 20 Millionen Amerikaner eine Krankenversicherung brachte - aber zum Teil auch höhere Zahlungen. Bidens Name ist fest mit dieser Reform verbunden, unter anderem weil er daran arbeitete, sie durch den Senat zu bringen. Biden kündigte unterdessen an, "Obamacare" noch auszuweiten, vor allem für Geringverdiener. Zugleich könnte er ein ganz neues Gesetz brauchen, falls die Reform vom Obersten Gericht gekippt wird.

Rassismus

Der bei Afroamerikanern populäre Biden sagte im Wahlkampf ganz klar, dass es in den USA Rassismus gebe, der in den Institutionen verankert sei. Er wolle unter anderem mit einer Polizeireform und besseren wirtschaftlichen Bedingungen für Schwarze gegensteuern.

Umwelt und Energie

Biden kündigte an, die USA wieder ins Klimaabkommen von Paris zurückzubringen, das Trump verlassen hatte. Im zweiten TV-Duell sagte der Demokrat zudem, dass er das Land auf lange Sicht aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen führen und stattdessen stärker auf erneuerbare Energien setzen wolle - Worte, die ihn möglicherweise Stimmen in Bundesstaaten mit einer starken Öl- und Gasindustrie wie Pennsylvania gekostet haben. Biden will auch staatliche Subventionen für die Branche abschaffen.

Aussenpolitik

Trump kündigte den Atom-Deal mit dem Iran auf, verschärfte die Konfrontation mit China, zog sich aus der Unesco und der Weltgesundheitsorganisation zurück, strapazierte die Beziehungen zu den Nato-Verbündeten. Das ist der Kurs, den Biden umkehren würde. Er muss zugleich einen eigenen Kurs im Umgang mit Nordkorea und Russland entwickeln - und wie er mit der Nahostpolitik seines Vorgängers umgeht, der sich als Friedensstifter in der Region versuchte.

Einwanderung

Bidens Vorhaben ist unter anderem, wieder mehr Menschen, die ohne Papiere in den USA leben, den Weg zur Staatsbürgerschaft zu öffnen. Er wird dafür vieles aus Trumps Politik der vergangenen vier Jahre umkehren müssen. Biden dürfte dafür sorgen, dass wie vor Trump vor allem diejenigen unter illegal ins Land gekommenen Einwanderer abgeschoben werden, die Straftaten begangen haben. Und er sagte, dass er die Finanzierung von Trumps Paradeprojekt - des hohen Zauns an der Grenze zu Mexiko - einstellen werde. (SDA)

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