2024 ist nicht nur in den USA ein Wahljahr, auch Russland wählt voraussichtlich am 17. März seinen Präsidenten. Dass Wladimir Putin (70) der Sieger sein wird, dürfte klar sein – sofern er wieder antritt. Es ist nämlich noch nicht sicher, ob er wirklich wieder kandidieren wird.
Russland-Experte Ulrich Schmid (57) von der Uni St. Gallen sagt gegenüber Blick: «Möglicherweise verzichtet Putin auf eine Präsidentschaftskandidatur und zieht sich auf einen repräsentativen Posten im Hintergrund zurück – etwa als Vorsitzender des Staatsrates.» Diesem bisher nur beratenden Gremium gehören die Gouverneure der russischen Regionen an.
Als weitere Optionen kommen auch das Amt des Ministerpräsidenten oder Parteichefs in Frage, von wo aus Putin die Leitlinien der russischen Politik bestimmen könnte.
Wer würde nachrücken?
Bei einem Rücktritt würde ein Nachfolger «aus dem System Putin» auf den Schild gehoben, meint Schmid. Ein denkbares Vorgehen sei da die Wiederholung von Putins eigener Kür Ende 1999: Der amtierende Präsident tritt per Ende Jahr zurück, der Ministerpräsident – zurzeit Michail Mischustin (57) – wird verfassungsgemäss Interimspräsident und wird dann im März regulär als Präsident gewählt.
Als weiteren möglichen Kandidaten bezeichnet Schmid Landwirtschaftsminister Dmitri Patruschew (45), der von seinem mächtigen Vater und Putin-Vertrauten Nikolai Patruschew (72) protegiert werde.
Grosse Unterstützung
Träte Putin im März tatsächlich nicht mehr als Präsident an, hätte dies möglicherweise Auswirkungen auf den Krieg in der Ukraine. «Ein allfälliger neuer Präsident hätte zwar wenig Spielraum in der Ukraine und würde auch die Armee nicht zurückziehen, weil sich die russische Führung mit der Annexion von Gebieten selber unter Zugzwang gesetzt hat», sagt Schmid. «Möglich wäre aber unter einer neuen Präsidentschaft ein Herunterfahren der aktiven Kampfhandlungen.»
Tritt Putin allerdings wieder an, wäre ihm die Unterstützung gewiss: So kündigte die Partei Gerechtes Russland an, auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten und Putin und dessen Partei Einiges Russland zu unterstützen.
Die Präsidentschaftswahl wäre gleichzeitig ein Gradmesser, wie die Russen zu Putins Krieg in der Ukraine stehen. Schmid: «Wenn Putin wieder antritt, käme die Wahl einem Plebiszit über das System Putin und über die Spezialoperation in der Ukraine gleich.» Gemäss Umfragen sind über 80 Prozent der Russen mit dem Handeln ihres Präsidenten einverstanden.
Verhöre und gecastete Konkurrenten
Dennoch herrscht offenbar Nervosität. In Russland sind die Behörden gegen Mitarbeiter der unabhängigen Wahlbeobachtungsorganisation Golos vorgegangen. Gemäss Medienberichten sind mehrere Mitarbeiter zu Verhören auf Polizeiwachen gebracht worden. Angeblich soll Grigory Melkonjanz (42), eines der Führungsmitglieder von Golos, Aktivitäten einer in Russland unerwünschten Organisation vorbereitet haben, was ein Strafverfahren nach sich ziehen könnte.
Golos war nach der Auszeichnung mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit 2012 in Russland zum «Ausländischen Agenten» erklärt worden. Ein Moskauer Gericht hat sogar die Auflösung der Bewegung angeordnet.
Interessant ist auch eine Meldung der in Lettland ansässigen russischen, unabhängigen Nachrichtenagentur meduza.io. Sie berichtet, dass die russische Präsidialverwaltung «Sparringpartner» ausgewählt habe, die bei den Wahlen Putin konkurrenzieren sollen. Man habe bewusst Kandidaten ausgesucht, die über 50 Jahre alt sind, um Putin nicht alt erscheinen zu lassen. Eine Auswahl von Kandidaten soll die Wähler zum Schluss bringen, dass Putin «nicht mehr der Mann ist, der mit fester Hand an die Macht gekommen ist».