Michail Korotkow (31) liebt Züge. Immer wieder fotografierte er die aussergewöhnlichsten Eisenbahnen – bis er 2018 das erste Bild eines Panzerzugs schoss. Wer sich genau in den Abteilen aufhielt, wusste er damals nicht. Doch ihm war klar: «Normalsterbliche fahren nicht mit einem solchen Zug», schrieb er in seinem Blog. Die Verfolgung des Panzerzugs wurde für ihn zur gefährlichen Obsession.
Korotkow wurde zum Trainspotter, liebte die Herausforderung, das Adrenalin, wenn er auf die Jagd ging, sagt er zur «Washington Post». An die Konsequenzen habe er nie gedacht. «Ich war so vertieft in mein Hobby», erklärt er. Über Jahre verfolgte Korotkow den aussergewöhnlichen Zug. «Er rast wie ein Verrückter, und alle anderen planmässigen Züge machen ihm Platz», schrieb er 2021 in seinem Blog.
Dieser Zug ist ein Staatssicherheitszug, der nur für hochrangige Mitglieder der Regierung bestimmt ist. Der Fahrgast im Fall von Korotkow war kein Geringerer als Kremlchef Wladimir Putin (70). Spätestens seit Beginn des Ukraine-Kriegs zieht das russische Staatsoberhaupt die Bahn anderen Verkehrsmitteln vor. Denn diese lässt sich weniger leicht verfolgen als ein Flugzeug. Doch Korotkow klebte sich an die Fersen des Staatsoberhauptes. Und riskierte damit sein Leben.
Russischer Geheimdienst nimmt ihn ins Visier
Die Recherche von Korotkow war dem Kremlchef ein Dorn im Auge. Schliesslich soll Putin sogar Zugstrecken zwischen seinen privaten Liegenschaften gebaut haben – von deren Existenz niemand wissen sollte.
Doch Korotkow hörte trotz Risiken nicht auf – bis etwas Ungewöhnliches passierte: Auf Youtube sah er Transkripte seiner persönlichen Telefonate in den Kommentaren. «Als ich diese Unterhaltungen in meinen Kommentaren sah, war mir das unheimlich», sagte er. Für Korotkow war klar, dass der russische Geheimdienst ihn ins Visier genommen hat.
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Der Trainspotter bekam es mit der Angst zu tun. «In diesem Moment wurde mir klar, dass alles, was ich im Internet veröffentlicht hatte, gegen mich verwendet werden konnte.» Sein Blog könnte ihm zu Verhängnis werden.
Korotkow wird einberufen
Seine Trainspotting-Beiträge könnten Grund genug sein, ihn wegen Sabotage oder Terrorismus ins Gefängnis zu bringen, befürchtet er. Also stellte er im März 2022 seinen Blog ein. Korotkow versuchte das Kriegsgeschehen auszublenden, doch im September, als Putin die Teilmobilmachung ausrief, flüchtete er.
«Das Schwierigste war, endlich zu erkennen, dass die Auswanderung die einzige Lösung war, mein bisheriges Leben aufzugeben und bei null anzufangen», erzählt Korotkow. Als sein Marschbefehl kam, war er längst in Kasachstan. Bis sich alles normalisiert, will Korotkow mit dem Rucksack durch die Welt reisen. (jwg)