Die Bedingungen waren ohnehin schon hart – und wie! 100 Kilometer sollten die Teilnehmer im Gebirge zurücklegen. 172 Läufer gingen bei dem Ultra-Marathon letzten Samstag an den Start. Doch dann zog ein heftiger Sturm auf. Hagel, Regen und klirrende Kälte. Der Marathon wurde mit einem Schlag zum Überlebenskampf. 21 Läufer kamen ums Leben. Unter den Toten auch die chinesische Spitzen-Langstreckenläufer Liang Jing sowie der hörbehinderte Läufer Huang Guanjun, der 2019 den Marathon bei Chinas nationalen Paralympischen Spielen gewonnen hatte.
Dass bei dem Unglück nicht noch mehr Menschen ihr Leben verloren, ist Zhu Keming zu verdanken. Der Schäfer hat sechs Läufern das Leben gerettet. Er wird nun in China als Held gefeiert.
Er trug einen unterkühlten Läufer in die Höhle
Zhu hütete am Samstagmittag in der nordwestlichen Provinz Gansu gerade seine Schafe, als der Wind auffrischte, die Temperaturen fielen und es anfing zu regnen, wie er Staatsmedien berichtet. Er suchte Zuflucht in einer Höhle, wo er Kleidung und Essen für Notfälle gelagert hat.
Dann bemerkte er plötzlich einen der 172 Teilnehmer des Rennens, der unter Krämpfen litt und nicht mehr weiter laufen konnte. Zhu brachte den Mann in seine Höhle, massierte seine eiskalten Hände und Füsse, machte Feuer und trocknete die Kleidung des Läufers.
Vier weitere Läufer fanden den Weg in Zhus Höhle und berichteten dem Schäfer, dass noch weitere Unglücksgenossen Hilfe bräuchten. Trotz Hagel und Eiseskälte machte Zhu sich noch einmal auf den Weg ins Freie und fand einen Läufer mit dem Gesicht nach unten am Boden liegen. Er trug den Mann in die Höhle, wickelte ihn in Decken und rettete ihm damit sehr wahrscheinlich das Leben.
«Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich dem Mann bin, der mich gerettet hat», schrieb der Läufer, Zhang Xiaotao nach seiner Rettung. «Ohne ihn wäre ich dort draussen geblieben.»
Statt warmer Kleidung sollten Läufer nur eine Jacke tragen
Zhu zeigte sich unbeeindruckt von seinem neuen Ruhm. Er sei einfach «ein ganz normaler Mensch, der eine ganz normale Sache getan hat». Ihm tue es nur leid, dass er nicht noch mehr Menschen retten konnte.
Im Internet wurde nun Kritik an den Organisatoren und der mangelnden Vorbereitung laut. Es wurde die Frage gestellt, «ob es wirklich eine Naturkatastrophe oder eine von Menschen verursachte» gewesen sei.
Erfahrene Läufer wiesen darauf hin, dass Organisatoren bei Laufstrecken unter ähnlichen Bedingungen von Teilnehmern forderten, warme und wasserdichte Jacken und Hosen sowie Thermounterwäsche, Handschuhe und Mützen mitzunehmen. Bei dem Rennen in Gansu seien Jacken aber nur «empfohlen» gewesen, hiess es. Allein die faltbaren Notfalldecken seien verpflichtend gewesen.
«Wir sprechen den Opfern und ihren Familien unser tiefes Mitgefühl aus»
Die Provinzregierung setzte eine Sonderkommission ein, um die Vorfälle zu untersuchen. «Als Organisatoren der Veranstaltung fühlen wir uns zutiefst schuldig und machen uns Vorwürfe», sagte Zhang Xuchen, der Bürgermeister von Baiyin, auf einer Pressekonferenz. «Wir sprechen den Opfern und ihren Familien unser tiefes Mitgefühl aus.»
Der 100 Kilometer lange Bergmarathon in der malerischen Touristenregion wird zusammen mit zwei kürzeren Cross-Country-Läufen bis 21 Kilometer seit vier Jahren jährlich veranstaltet. Die Hongkonger Zeitung «South China Morning Post» berichtete, dass sich fast 10'000 Teilnehmer für die drei Läufe angemeldet hätten. (AFP/SDA/jmh)