In jedem Krieg werden Helden geboren. Im Ukraine-Krieg ist einer davon der kanadische Scharfschütze Wali (40). Im Afghanistankrieg hatte er als Scharfschütze des kanadischen Royal 22e Régiment gekämpft und später mit einer Gruppe von Freiwilligen im Irak gegen IS-Terroristen. Damals wurde er bekannt, als er einen Terroristen aus 3,4 Kilometer Distanz ausschaltete. Es gilt bis heute als längster Kill Shot.
Richtig berühmt wurde der Sniper aber, als Putin in die Ukraine einmarschierte. Wali, dessen richtiger Name nicht bekannt ist, verliess seinen Job als Programmierer, zog in den Krieg und führt seither ein Tagebuch, in dem er detailliert das Kampfgeschehen beschreibt und vor allem auch immer wieder von russischen Niederlagen berichtet. Er wurde zum Social-Media-Star.
Propaganda-Tod
Doch am 15. März starb Wali. Das jedenfalls war zuerst auf chinesischen Social-Media-Accounts zu lesen, die russische Quellen zitierten. Danach verbreitete sich die Meldung über Afrika in die Welt. Die Rede war von einer Erfolgsgeschichte der russischen Armee, die es geschaffte hatte, den «tödlichsten Sniper der Welt auszuschalten, der 40 bis 60 Russen pro Tag töten kann».
Es war reine russische Propaganda. Denn Wali lebt. Das verkündete er selber – und wurde dadurch noch populärer.
In den letzten Tagen hat er diverse Interviews gegeben. Unter anderem sprach er mit «Bild». Ein Auszug aus dem Gespräch, das via Zoom geführt wurde.
Wali über …
... die Tatsache, dass er noch lebt:
«Kein Kratzer! Aber es war oft knapp. Es ist extrem hart, ich war im Einsatz in der Region rund um Kiew. [...] Es gab Strassenkämpfe, extrem gewalttätig. Jeden Tag sind wir am Tod vorbeigeschrammt. Mehrmals. In Hollywood-Filmen stehen Scharfschützen als die Grossen da, doch in einem solchen Krieg fühlt man sich winzig. Drei Viertel des Jobs besteht darin, am Leben zu bleiben. Die Russen versuchen, in jedem Bezirk, den sie erobern wollen, alles auszulöschen. Die feuern den ganzen Tag mit Artillerie, aus Panzern. Und sie schiessen mit grosskalibriger Munition, die Hauswände durchschlägt als wären sie Butter. Oft verfehlte uns diese Munition nur ein paar Meter. Und wenn sie dann vorrücken, müssen wir das Feuer erwidern, auch damit sie wissen, wir sind noch da.»
... russische Kriegstaktiken:
«Die Russen schiessen auf alles, aus vollen Rohren. Sie setzen auf rohe, unpräzise Feuerkraft. Und das funktioniert oft auch. Man muss daher den richtigen Zeitpunkt wählen für Gegenoffensiven. Es ist fast wie ein Schachspiel. Wir müssen stets Aggressivität zeigen, denn die Russen haben insgesamt grosse Angst. Sie schiessen aus Verstecken. Es ist fast eine psychologische Kriegsführung: Wer im Moment als stärker erscheint, rückt vor! Das geht vor und zurück.»
... seine Aufgaben im Kampf:
«Ich habe geschossen, um den Feind fernzuhalten. Meine Hauptaufgabe war zu überleben, das Feuer zu erwidern, zu beobachten und zu warten. Einmal tauchte eine Person im Zielfernrohr auf, aber es hätte auch ein Zivilist sein können, deshalb drückte ich nicht ab. Ich glaube, es war meine Entscheidung, solche musste ich schon oft treffen in meinem Leben, und ich glaube, es war die richtige.»
... die Gründe, warum er sein Leben riskiert:
«Als ich auf Karten diese umzingelten Städte sah, wurde mir schon beim Abflug aus Montreal mulmig. Ich dachte: Du bist verrückt! Aber ich wollte trotzdem helfen. Gleichzeitig jedoch möchte ich am Leben bleiben, ich will meinen Sohn aufwachsen sehen. [...] Und dann sah mich eine Frau an, die stand vor ihrem ausgebombten Haus inmitten brennender Autos: Sie lächelte mich an. Da wusste ich: Deshalb mache ich das! Ich riskiere mein Leben, aber das ist es wert. Den Einwohnern ihre Stadt wiederzugeben, damit sie sie wieder aufbauen können.»
... Kanada, das keine Landsleute im Ukraine-Krieg sehen will:
«Wenn ich lebend zurückkehre und sie wollen mich verhaften, dann sollen sie das tun. Das Gefängnis wird bequem sein im Vergleich zum Krieg hier. Aber ich glaube nicht, dass sie das tun werden. Die ganze Welt zeigt doch so viele Sympathien gegenüber der Ukraine.»
... die nächsten Wochen:
«Meine Aufgabe ist noch nicht abgeschossen. Wir müssen die Russen weiter zurückdrängen, die ukrainische Armee braucht Hilfe. Ich habe so viele traurige und schreckliche Dinge gesehen, auch die vielen zurückgelassenen Haustiere, die völlig verloren herumirren. Meine Familie macht sich riesige Sorgen, aber ich glaube, sie verstehen es. Es ist meine Pflicht!» (vof)