Die Lage im Nahen Osten ist sehr angespannt. Jede Minute könnten die Iraner mit einem Gegenschlag gegen Israel beginnen. Es wird generell erwartet, dass er viel heftiger ausfallen wird als der Angriff vom 13. April. Dieser war angekündigt. Israels Abwehrsystem Iron Dome konnte fast alle über 300 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper vom Himmel holen.
Erneut macht Teheran eine spezielle Ankündigung: Das von den iranischen Streitkräften geführte Nachrichtenportal defapress.ir hat am Montag eine Liste potenzieller Ziele in Israel veröffentlicht. Warum nur diese Ankündigung?
Die Liste umfasst Ziele im ganzen Land:
Regierungs- und Militärstandorte: Auf der Liste stehen unter anderem das Parlamentsgebäude Knesset, das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (74) und das Verteidigungsministerium. Das Institute for the Study of War (ISW) rechnet damit, dass ein Angriff auf das Verteidigungsministerium zu einem grossen Krieg führen würde.
Energie- und Wirtschaftsinfrastruktur: Ein Angriff auf Öl- und Gasfelder, Häfen, Kraftwerke und die internationalen Flughäfen Ben-Gurion, Haifa und Ramon würde den Handel Israels schwer beeinträchtigen und Angst in der Bevölkerung auslösen. Weil diese Gebiete dicht besiedelt sind, wäre mit einer grossen Zahl ziviler Opfer zu rechnen.
Militärische Einrichtungen: Hier nimmt der Iran vor allem Luftwaffenstützpunkte ins Visier.
Taktische Ankündigung
Das ISW hat eine Erklärung dafür, warum der Iran seine möglichen Ziele ankündigt. Das Institut geht davon aus, dass der Iran Israel dazu zwingen will, die Luft- und Raketenabwehrstellungen über ein grosses Gebiet zu verteilen. Das würde den Angreifern grössere Chancen für erfolgreiche Schläge bieten.
Es ist zu erwarten, dass im Gegensatz zum 13. April die Schläge nicht nur aus dem Iran erfolgen, sondern von verschiedenen Seiten, so von der Hisbollah im Libanon, der Hamas im Gazastreifen, den Huthis im Jemen sowie iranischen Stellungen in Syrien und dem Irak. Die Trefferquote der Iraner wird dieses Mal garantiert höher sein.
Das Portal defapress.ir warnt: «Israel befindet sich im Fadenkreuz des Sturms, und obwohl es über zahlreiche militärische, nachrichtendienstliche und technologische Möglichkeiten sowie unbegrenzte Unterstützung durch seine Verbündeten auf der ganzen Welt verfügt, ist es nicht stark genug und sicher und verfügt nicht über genügend Personal, um einem Krieg an mehreren Fronten standzuhalten.»
Überfall wie am 7. Oktober erwartet
Offenbar schliesst Israel einen gleichzeitigen Überfall wie jenen der Hamas vom 7. Oktober nicht aus. Die israelischen Streitkräfte haben zusätzliche Truppen bei Tulkarm nördlich von Tel Aviv stationiert. Offenbar war eine Drohung eingegangen, dass die Hamas und andere palästinensische Milizen vom Westjordanland in Israel eindringen könnten.
Laut Medienberichten mischt auch Russland beim Angriff mit. Moskau soll moderne Radaranlagen und Ausrüstung zur Luftraumverteidigung in den Iran geliefert haben – dies als Gegengeschäft zu den Drohnen, die der Kreml für den Krieg gegen die Ukraine erhält.
Mit allen Mitteln versuchen die USA, die mit zusätzlichen Kriegsschiffen aufgefahren sind, sowie Staaten im Nahen Osten, einen Krieg abzuwenden. Sie versprechen Teheran unter anderem, die Atomverhandlungen wieder aufzunehmen, was zu einer Lockerung der Sanktionen führen würde.
Angst vor Weltkrieg
Der erwartete Vergeltungsschlag ist eine Reaktion auf die Ermordung des Hamas-Auslandchefs Ismail Hanija in Teheran sowie des Hisbollah-Kommandeurs Fuad Schukr in Beirut. Das Eskalationsrisiko ist gross. Dan Smith (72), Direktor des International Peace Research Institute (Sipri) in Stockholm, schliesst den Einsatz von Atomwaffen nicht aus, falls sich Israel existenziell bedroht fühlen würde.
Experten sprechen teilweise von der Gefahr eines dritten Weltkriegs. Smith schätzt das Risiko auf «deutlich unter zehn Prozent». Es handle sich um einen Krieg, den niemand wolle. «Die Grossmächte streben keine gegenseitige Vernichtung an», meint Smith gegenüber Blick.