Chinas Wirtschaft kränkelt – und die Regierung versucht es zu kaschieren. Während des Treffens zwischen dem US-Präsidenten Joe Biden (80) und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping (69) am Mittwoch in San Francisco inszenierten sich beide als Supermächte. Doch so ganz stimmt das nicht (mehr).
Chinas jüngste wirtschaftliche Herausforderungen werden oft als Fall von «wirtschaftlichem Long Covid» beschrieben. Die «extreme Reaktion des chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf die Pandemie», so die These des amerikanischen Ökonomen Adam Posen (57) im Magazin «Foreign Affairs», habe «die Immunreaktion der Öffentlichkeit» ausgelöst und «eine weniger dynamische Wirtschaft hervorgebracht».
Chinas Wirtschaft schwächelte aber schon lange vor der Covid-19-Pandemie: ein erschöpftes Wachstumsmodell, ein verkümmertes Bevölkerungswachstum aufgrund der Ein-Kind-Politik und vor allem ein Führungsversagen haben den Boden dafür bereitet. Eine Übersicht über die vielen Probleme des roten Riesen.
Ein erschöpftes Wachstumsmodell
Vorhersagen über eine bevorstehende und scheinbar unvermeidliche «grosse Wirtschaftskrise» in China gibt es schon, seit das Land in die Ära des Wachstums nach Mao Zedong (1893–1976) eingetreten ist. Die Vorhersagen trafen bislang jedoch nicht zu. Doch dieses Mal scheint es anders. Viele der Triebkräfte, die zu Chinas schnellem Wachstum nach 1978 beigetragen haben, schwächen sich ab. Gleichzeitig erfordern neu auftauchende Wachstumsquellen Reformen, die bisher noch nicht umgesetzt wurden.
Ein verkümmertes Bevölkerungswachstum
Seit den 1990er-Jahren ist Chinas Geburtenrate (die durchschnittliche Anzahl an Kindern pro Frau) unter die kritische Marke von 2,1 gefallen. Das bedeutet, dass es nicht genug Neugeborene gibt, um die Anzahl der Sterbefälle in der Bevölkerung auszugleichen. Ein Hauptgrund dafür liegt in den Auswirkungen der chinesischen Ein-Kind-Politik. Hohe Kosten für die Kindererziehung, veränderte Familien- und Ehevorstellungen sowie ein langsames Wirtschaftswachstum tragen zum Rückgang der Bevölkerung bei. Anders als in vielen Ländern Europas, die ebenfalls eine tiefe Geburtenrate haben, wird in China das Minus nicht mit Zuwanderung kompensiert. Das heisst: Die Bevölkerung schrumpft tatsächlich – was die Finanzierung des Rentensystems in China verändern wird, aber auch die Immobilienbranche durchrütteln dürfte.
Eine geplatzte Immobilienblase
Im Immobiliensektor gibt es bereits heute Probleme. Im Oktober fielen die Preise für Häuser in China so stark wie seit acht Jahren nicht mehr. Dies deutet auf eine zunehmende Immobilienkrise hin, obwohl die Regierung ihre Anstrengungen zur Förderung der Nachfrage verstärkt hat. Laut dem Wirtschaftsmagazin «Caixin» aus Peking sanken die Preise für neue Häuser in 70 Städten (ausser staatlich geförderten Wohnungen) im vergangenen Monat um 0,38 Prozent im Vergleich zum September, nach einem Rückgang um 0,3 Prozent. Dieser Rückgang war der stärkste seit Februar 2015.
Ein autoritärer Präsident
Der chinesische Langzeit-Herrscher Xi Jinping (69) ist nicht für die tiefgreifenden strukturellen Probleme der chinesischen Wirtschaft verantwortlich zu machen. Er ist jedoch verantwortlich für das Versagen der Regierung, diese zu lösen.
Xi, seit 2013 Präsident, bremste das Wachstum Chinas massgeblich. Durch Verstaatlichung zahlreicher Unternehmen hat er Investoren aus dem Ausland verschreckt. Hinzu kamen die fortwährenden Streitereien mit den USA und anderen westlichen Ländern, die dadurch ihre Exportkontrollen nach China verschärften.
Im Grunde hat Xi Chinas wirtschaftliche Zeitbombe nicht gebaut, aber er hat ihre Zündschnur drastisch verkürzt. Denn in der Vergangenheit reagierte die chinesische Regierung mit Reformen und Pragmatismus auf wirtschaftliche Probleme. Im Gegensatz dazu hat Xi den Instinkt, jeder Herausforderung mit politischer und wirtschaftlicher Zurückhaltung zu begegnen.
Eine zerstrittene Welt
Das chinesische System steht vor einer ganzen Reihe innenpolitischer Probleme wirtschaftlicher und sozialer, struktureller und finanzieller Art, und manche behaupten schon seit langem, dass dies kein guter Zeitpunkt ist, um sich nach aussen hin in so viele Richtungen zu zerstreiten.
Der Ukraine-Krieg hat zu einem Bruch mit Europa geführt, und das Verhältnis zu den USA hat sich durch eine lange Liste von Problemen kontinuierlich verschlechtert. Das schadet der Stimmung der Investoren, ist nicht gut für die Wirtschaft und belastet die Konjunktur, die sich ganz offensichtlich abschwächt.