Am vergangenen Donnerstag verkündete Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (61): «Die Rekrutierung von Gefangenen im militärischen Wagnerverbund wurde vollständig eingestellt.» Zu den Gründen schwieg er. Bis jetzt.
In einem Brief an den Abgeordneten des Gebiets Swerdlowsk, Wjatscheslaw Wegner (63), soll er sich erklärt haben. Laut Wegner antwortete ihm Prigoschin auf eine Bitte, bei der Rekrutierung von Frauen aus den Kolonien behilflich zu sein. So berichtet das unabhängige russische Medium «iStories». Ein Screenshot des Briefs liefere den Beweis. Jedoch fehlen die Unterschriften der Beteiligten.
Schoigu wollte dem Wagner-Chef schaden
Im Schreiben listete der Wagner-Chef drei Punkte auf, weshalb sie keine Gefangenen mehr rekrutieren.
- Weil sie ihre Aufgaben derart effizient erledigen, sehen Einheiten in anderen Sektoren schlecht aus. Das bringt einige Führungskräfte in unangenehme Situationen.
- Man setzt die Gefangenen nicht als Gefangene, sondern als gleichberechtigte Kämpfer ein, was die militärische Elite irritiert.
- Einige militärnahe Funktionäre haben das Gefühl, dass sie, wenn sie Gefangene rekrutieren, so berühmt werden können wie die Wagner-Gruppe.
Prigoschin schrieb nicht, woher der Befahl kam, die Rekrutierung von Sträflingen zu stoppen. Er riet Wegner jedoch, sich an das Verteidigungsministerium zu wenden. Olga Romanowa (56), Gründerin der Menschenrechtsorganisation «Russland hinter Gittern», glaubt zu wissen, was dahintersteckt. Verteidigungsminister Sergei Schoigu (67) wollte Prigoschin eines auswischen. Die beiden sind seit längerer Zeit zerstritten.
Alles bleibt (fast) beim alten
Während Prigoschin mit seiner Söldnertruppe in Soledar und Vororten von Bachmut Erfolge feierte, scheiterte Schoigu als Leiter der regulären russischen Armee daran, seine Ziele in der Ukraine zu erreichen. Jetzt schlägt er zurück.
Romanowa zufolge werden Sträflinge neuerdings direkt vom Verteidigungsministerium rekrutiert. Unter den gleichen Bedingungen wie in der Wagner-Gruppe. Mit einer Ausnahme: Sie versprechen, dass es in der Armee keine aussergerichtlichen Hinrichtungen mehr geben wird.
«Kanonenfutter» im Angriffskrieg
Analysten des Institute for the Study of War (ISW) halten es für möglich, dass das russische Verteidigungsministerium Häftlinge rekrutiert, um sie als «Kanonenfutter» im Angriffskrieg gegen die Ukraine einzusetzen. Eine Rekrutierung von Sträflingen sei ein Anzeichen, dass der Kreml sogenannte «menschliche Wellen» planen könnte, schreibt das ISW mit Bezug auf entsprechende Berichte.
Laut Menschenrechtsorganisation «Rus Sidjatschaja» kämpfen von 50'000 Söldnern nur noch 10'000 an der Front – der Rest sei entweder geflohen, tot oder habe sich ergeben. (SDA/abt)