Strategisch wichtige Stadt entscheidend für Kriegsverlauf
Was, wenn Tschassiw Jar fällt?

Die russische Armee drängt mit aller Kraft auf die Eroberung der Kleinstadt Tschassiw Jar. Fällt sie in ihre Hände, wird die Lage für die ukrainischen Verteidiger prekär.
Publiziert: 03.05.2024 um 01:07 Uhr
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Aktualisiert: 03.05.2024 um 17:28 Uhr
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Völlig zerbombt: Tschassiw Jar gleicht einer Geisterstadt.
Foto: keystone-sda.ch

Mit tonnenschweren Gleitbomben und Dauer-Artilleriefeuer beschiessen die russischen Besatz die ukrainischen Verteidiger vor Tschassiw Jar. Der Fokus der Front legt sich auf die strategisch wichtige Kleinstadt. Täglich regnen mehr als 30 der gefürchteten Gleitbomben auf das Schlachtfeld.

Der Fokus auf Tschassiw Jar hat einen einfachen Grund: Von hier aus würden Putins Truppen verschiedene Wege ins Landesinnere offenstehen – und vier ukrainischen Städte könnten als nächstes erobert werden, darunter auch Charkiw.

In den letzten Wochen wurden laut der «Financial Times» bis zu 25’000 russische Angreifer hier hin verlegt. Die ukrainischen Kräfte drohen derweil zu erschöpfen. Munitionsmangel und fehlende Rotation setzen der Armee schwer zu.

Russland mit frischen Kräfte, Ukrainer erschöpft

Carlo Masala, Militärexperte an der Universität der Bundeswehr München, sagt zum «Tagesspiegel», dass einige der Soldaten im Osten der Ukraine seit zwei Jahren praktisch ohne Unterbrechung im Einsatz seien. Die Unterlegenheit durch den Mangel an Munition sei nicht zu unterschätzen, aber «entscheidend ist jetzt die Personalsituation». Im Gegensatz zu der Ukraine konnte Russland frischen Wind in ihre Offensive bringen, schaffte eine Rotation seiner Truppen, dank ihrer schieren personellen Überlegenheit.

Tschassiw Jar liegt auf einer Hügelspitze und bildet eine natürliche Barriere vor wichtigen Versorgungslinien, die dahinter verlaufen. Erobern die Russen Tschassiw Jar, könnten sie diese Versorgungslinien stören oder ganz abschneiden, die die Ukraine zur Verteidigung des Nordens und Südens der Donbass-Region braucht.

Sieben Kilometer in zwei Wochen

Nach dem Fall von Bachmut rückten die Angreifer unter grossen Verlusten Meter für Meter vor, für sechs Kilometer brauchten die Besatzer fast ein ganzes Jahr. Allerdings ging es in den letzten Wochen im Vergleich rasant vorwärts: Laut «FT» brauchten die russischen Truppen für die letzten sieben Kilometer nur gerade zwei Wochen.

Laut Experten sei das in den letzten Monaten eroberte Gelände optimal zur Verteidigung gewesen. Rob Lee von der US-amerikanischen Denkfabrik Foreign Policy Research Institute (FPRI) sagt, dass Russland nun umso schneller vorrücken werde. «Dazu kommt: Fällt Tschassiw Jar, erschwert dies die Verteidigung der umliegenden Gegend.»

Erwartet wird nun, dass Putins Armee in den nächsten Tagen ihren Ansturm auf die Verteidigungslinien intensiviert – bevor die erste Tranche des US-Hilfspakets die Front erreicht.

Aus Moskau ist der Wunsch klar: Am 9. Mai – der russische Feiertag, an dem zum Sieg der Sowjetunion über Nazideutschland gefeiert wird – will die russische Armeeführung den wichtigen strategischen Sieg auf dem Schlachtfeld in der Ukraine verkünden. (neo)

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