Plötzlich im Knast
Darum macht Putin Jagd auf die eigenen Raketenforscher

Wladimir Putin zählt viele Menschen zu seinen Feinden. Neben Journalisten und Oppositionellen sind ihm in den vergangenen Jahren auch Physiker ein Dorn im Auge. Reihenweise landen sie im Knast. Warum?
Publiziert: 24.04.2024 um 16:34 Uhr
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Aktualisiert: 24.04.2024 um 17:08 Uhr
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Neben Journalisten und Oppositionellen sind auch Wissenschaftler Kreml-Chef Wladimir Putin ein Dorn im Auge.
Foto: keystone-sda.ch
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Marian NadlerRedaktor News

Unnachgiebig verfolgt Kreml-Chef Wladimir Putin (71) in Russland seine Gegner. Schon lange müssen Oppositionspolitiker und Journalisten um ihr Leben fürchten. Sie sind allerdings nicht die Einzigen, die der russische Präsident aus dem Weg räumen will. Auch Physiker werden immer häufiger inhaftiert – insbesondere solche, die sich mit der Forschung an Raketen befassen. 

Der jüngste Fall: Alexander Kuranow (76). Der ehemalige Chefkonstrukteur des Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für Hyperschallsysteme (OJSC) wurde wegen Hochverrats zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Vor Kuranow hatte es Anatoli Maslow (77), Alexander Schipljuk und Waleri Sweginzew erwischt. Maslow sitzt seit fast zwei Jahren in Untersuchungshaft, erlitt dort im Februar einen Herzinfarkt.

Alle wollen angeblich dieses Raketenwissen

Hinter der Jagd auf die meist älteren Physiker steckt der russische Geheimdienst FSB. «In der Regel kommt der FSB in eine wissenschaftliche Einrichtung und sucht nach einem Opfer», erläutert Jewgeni Smirnow, Anwalt der Menschenrechtsgruppierung «Erste Abteilung», gegenüber CH Media die Vorgehensweise. Ausgewählt würden diejenigen, die Kontakt zu ausländischen Spezialisten gehabt haben. So will Putin wissenschaftliche Überlegenheit in der Raketenentwicklung demonstrieren. «Das Ziel ist es, zu zeigen, dass alle Länder der Welt angeblich hinter diesen Raketen her sind und dass in jeder wissenschaftlichen Einrichtung angeblich ältere Spione sitzen.»

Maslow, Schipljuk und Sweginzew waren zuvor alle im Auftrag Russlands im Ausland gewesen. Und alle waren an der Entwicklung der Hyperschall-Rakete «Kinschal» («Dolch») beteiligt. Dass die Ukraine mehrere der Flugkörper zerstören könnte, dürfte Putin nicht gepasst haben.

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Beweise brauchen die Geheimdienstler nicht

Wie Recherchen der BBC ergaben, sind in den vergangenen Jahren insgesamt zwölf Physiker in Russland wegen Hochverrats angeklagt worden. Smirnow geht von einer weit höheren Dunkelziffer aus. Er glaubt, dass die Verhaftungen an Putin gemeldet werden. Da der FSB involviert ist, werden die Fälle von den Gerichten als «streng geheim» behandelt. Beweise brauchen die Geheimdienstler nicht. In Fällen von Staatsverrat gibt es in Russland zudem keine Freisprüche.

Für die Urteile werden meist dieselben Richter herangezogen. Einer von ihnen ist Andrej Suworow. Er verurteilte im Oktober 2023 den Wissenschaftler Anatoli Gubanow, der an der Entwicklung eines Hyperschallflugzeugs arbeitete, zu zwölf Jahren Haft. Davor hatte Suworow den mittlerweile in Haft gestorbenen Kremlkritiker Alexei Nawalny (†47) zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt.

Wer in Russland in den Knast kommt, bezahlt die Inhaftierung mitunter mit dem Leben. So wie Maslows ehemaliger Kollege Dmitri Kolker (†56). Er starb im vergangenen Sommer in U-Haft. 2021 hatte zudem der Physiker Viktor Kudrjawzew (†78) die Haft nicht überlebt. Er war bezichtigt worden, geheime Informationen an eine belgische wissenschaftliche Organisation weitergegeben zu haben.

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