Sport und Politik
Zu Gast bei Diktatoren

Katar feilt eifrig an seinem Image als moderner Staat – dabei spielt die Fussball-Weltmeisterschaft eine zentrale Rolle. Sporthistoriker Christian Koller sieht Parallelen zu früheren Mega-Events.
Publiziert: 20.11.2022 um 11:14 Uhr
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Aktualisiert: 20.11.2022 um 17:22 Uhr
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Wenn heute um 17 Uhr die Fussballweltmeisterschaft mit dem Spiel Katar gegen Ecuador eröffnet wird, ist die Monarchen-Familie Al-Thani am Ziel ihrer Träume: Die ganze Welt schaut nach Katar. Im Bild: Fifa-Präsident Gianni Infantino und der Emir von Katar Sheikh Tamim bin Hamad Al Thani.
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Sven ZauggRedaktor SonntagsBlick

Schnelle Beine, flinke Hände, schöne Körper – und Politik, sehr viel Politik: Die Fussball-WM in Katar ist für das Emirat am Persischen Golf weit mehr als ein Sportereignis. Der Mega-Event ist Teil einer Strategie, die zeigen soll: Wir sind hier, wir sind mächtig, wir trotzen unseren Feinden, wir sind gekommen, um den Weltmarkt zu erobern!

Um seinen Wohlstand in die Ära nach den fossilen Brennstoffen zu retten, investiert das stockkonservative WM-Land in aller Welt Milliarden seiner Petrodollars. Egal, ob Hotels, Fussballklubs, Tech-Unternehmen oder Autobauer: die Katarer diversifizieren ihr Portfolio in atemberaubendem Tempo – und gefallen sich dabei in der neuen Rolle des unverzichtbaren Partners.

Erinnert an WM in Argentinien

Wenn heute um 17 Uhr die Fussballweltmeisterschaft mit dem Spiel Katar gegen Ecuador eröffnet wird, ist die Monarchenfamilie al-Thani am Ziel ihrer Träume: Die ganze Welt schaut nach Katar. Der Fussball und die Spieler mit Millionen Followern auf Instagram und Tiktok dienen dem Emirat als Vehikel, um seine Macht und seinen wachsenden Einfluss zu demonstrieren.

Für den Historiker Christian Koller (51), Leiter des Sozialarchivs in Zürich, erinnert einiges an die Weltmeisterschaft in Argentinien 1978. Während das Heimteam damals den Pott in die Höhe stemmte, ganz nach dem Drehbuch des faschistischen Staatspräsidenten General Jorge Rafael Videla, wurden Oppositionelle zu Tode gefoltert. Insgesamt 30 000 Menschen fielen der Militärdiktatur zum Opfer – auch während der WM.

Katar 2022 ist nicht Argentinien 1978. Aber: «Wie die Katarer versuchte sich auch die argentinische Militärjunta mit einer gross angelegten PR-Offensive im Vorfeld die Gunst der Weltgemeinschaft zu sichern», sagt Christian Koller. Freundliche, junge und gut aussehende Helferinnen sollten dem Land ein positives, aufgeschlossenes Image verschaffen. Landesweit steckten die schnauzbärtigen Generäle mehr als 700 Millionen Dollar in die Modernisierung der Infrastruktur.

Die Fifa als Organisation ist Geschichte

«Ein gezielter PR-Schachzug des Regimes war zudem, den linken Nationaltrainer César Luis Menotti im Amt zu belassen – unter der Bedingung, dass er die Weltmeisterschaft gewinnt», sagt Koller. Menschenrechtsverletzungen, Folter und Einschüchterung von Dissidenten sollten im Narrativ der Militärjunta keinen Platz haben.

«Die Katarer tun es ihnen gleich», sagt Koller. «Nämlich indem sie die Verfolgung von Homosexuellen, die Diskriminierung der Frauen und die Unterstützung für den islamistischen Terror unter den Teppich zu kehren versuchen.»

Dass die WM nun im autoritär regierten Katar ausgetragen wird, wertet Koller als logische Entwicklung im Weltfussball. Die Fifa habe sich unter Gianni Infantino (52) weg von einer Organisation hin zu einem Unternehmen entwickelt, dessen einziges Ziel es sei, neue Märkte zu erschliessen: Mehr Markt, mehr Macht, mehr Mitsprache. «Die Kommerzialisierung des Fussballs nimmt immer groteskere Züge an», so Koller.

Dabei dreht sich keineswegs immer alles um den Ball: Egal, ob Fussballweltmeisterschaft oder Olympia, egal, ob autoritäres Regime oder Demokratie, die politische Strahlkraft von Grossanlässen ist ungebrochen. «Im Glanz erfolgreicher Sportler wohnt enormes wirtschaftliches und politisches Kapital inne», sagt der Historiker. Dieses werde ausnahmslos ausgeschlachtet.

Politik und Sport sind untrennbar

Den Versuch, Sport und Politik zu trennen, nennt Koller die «wohl grösste Lebenslüge». Von Adolf Hitler über Leonid Breschnew bis Xi Jinping und Wladimir Putin: Sie alle nutzten die Olympischen Spiele, um der Welt zu zeigen, zu welch grossen Taten ihre Nation imstande ist. Und was wäre besser dazu geeignet als schöne, starke, sportliche Körper, die sich im fairen Wettkampf messen.

Es ist jedoch nicht allein die Politik, die den Sport instrumentalisiert. Auch die Akteure im Stadion nutzen geschickt die mediale Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist es her, dass die beiden US-Sprinter Tommie Smith und John Carlos bei Olympia 1968 in Mexiko auf dem Siegerpodest die Faust in einem schwarzen Handschuh in den Himmel reckten, um so gegen die Rassendiskriminierung in ihrem Heimatland zu protestieren.

Unvergessen bleibt auch, dass die Schweizer Nationalmannschaft 1995 während der Hymne ein Transparent mit der Aufschrift «Stop it, Chirac» entrollte. Das Team um Alain Sutter (54) demonstrierte damit gegen Atombombentests des damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac in der Südsee. Die Botschaft ging um die Welt. Beispiele, die zeigen: Sport und Politik sind untrennbar miteinander verbunden.

Katar hat mit seiner Imagepolitur die Messlatte nun nochmals höher gelegt. Doch bereits sind erste Risse erkennbar: Offizielle geben sich öffentlich homophob und Journalisten werden an ihrer Arbeit gehindert.

In Katar ist die Welt eben doch nur zu Gast bei einem autoritären Regime – wie so oft.

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