Auf Boris Johnsons (56) Instagram-Account herrscht heile Welt. In seiner Story am Dienstagmorgen sieht man den britischen Premierminister aus der Tür der Downing Street 10 treten – er ist auf dem Weg vom Regierungssitz zur Queen's Speech, mit dem die Königin traditionell die neue Parlamentssession eröffnet. «Let's build back better», schreibt er dazu. Der Slogan, unter dem auch US-Präsident Joe Biden (78) die Wirtschaft nach Corona wieder und besser aufbauen will.
Beschwingt zeigte sich Johnson auch am Vortag in einem Foto. Darunter bedankte er sich bei allen Briten «für eure Geduld und für die Entbehrungen». Dank dieser könnten die Corona-Massnahmen weiter gelockert werden. Tatsächlich hat Grossbritannien aktuell nur drei Fälle pro 100'000 Einwohner und Tag (7-Tage-Schnitt) – die Schweiz hat mit 17 mehr als fünfmal so viele.
Und auch die Impfkampagne auf der Insel läuft: Mehr als 78 Impfdosen pro 100 Einwohnern wurden bereits verteilt, 26 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Am Montag wurde das erste Mal seit einem Jahr kein einziger Corona-Todesfall gemeldet.
Die Wähler belohnen das. Vergessen scheinen die 128'000 Corona-Toten (etwa anderthalb Mal so viel wie in der Schweiz). Bei den englischen Kommunalwahlen am Donnerstag triumphierten der Briten-Premier und seine konservativen Tories. Doch der schöne Schein trügt. Gleich drei Probleme machen Boris Johnson zu schaffen:
1. Gleich mehrere Spenden-Skandale werden untersucht
Tapeten aus Gold, pompöse Möbel, vergoldete Skulpturen: So wird Johnsons Wohnung in der Downing Street 11 – die ist geräumiger als die Wohnung in der Downing Street 10 – nach einer Luxus-Renovierung beschrieben. Nur: Wer hat die etwa 200'000 Pfund (rund 250'000 Franken) dafür bezahlt?
Johnson beteuert: er selbst. Doch es gibt Hinweise, dass nicht ausgewiesene Parteispenden verwendet wurden. Sein ehemaliger Berater Dominic Cummings (49), der Architekt der Brexit-Kampagne, stützt die Vorwürfe. Die zuständige Wahlkommission ermittelt.
Und es ist nicht der erste Spenden-Skandal. Johnson hängt auch noch eine Luxus-Reise von 2019 nach. Damals war der Briten-Premier mit seiner Partnerin Carrie Symonds (33) auf die Karibikinsel Mustique gereist. Die dafür angefallenen Unterkunftskosten von 15'000 Pfund (etwa 19'000 Schweizer Franken) hatte er öffentlich als Spende des Unternehmers David Ross (55) gekennzeichnet. Ross dementierte Berichten zufolge später die Spende, räumte aber ein, dass dem Tory-Politiker und seiner Partnerin Sachleistungen zugute gekommen seien.
Jetzt prüft die parlamentarische Kommissarin für die Einhaltung von Standards aktuell, ob Johnson die Spenden korrekt offengelegt habe. Wenn nein, könnte das unangenehm werden.
2. Die Schotten fordern ein neues Unabhängigkeits-Referendum
Johnson droht der «Scoxit». Denn während der Briten-Premier bei den englischen Kommunalwahlen abräumte, sieht es im Norden komplett anders aus: Bei der Parlamentswahl am Donnerstag in Schottland gewann Regierungschefin Nicola Sturgeon (50) mit ihrer Schottischen Nationalpartei (SNP) – und die wollen sich von London lösen und zurück in die EU.
Zwar verfehlte Sturgeon die absolute Mehrheit mit 64 von 129 Mandaten um einen Sitz, allerdings kommt die SNP zusammen mit den Grünen – die ebenfalls für die Unabhängigkeit von Grossbritannien und die Rückkehr in die EU eintreten – auf eine komfortable Mehrheit von 72 Sitzen.
Sturgeon und ihre Mitstreiter fordern ein neues Unabhängigkeitsreferendum. «Es ist der Wille des Landes», betonte sie nach dem Wahlsieg. Verweigere Johnson weiterhin sein Okay, werde sie notfalls vor Gericht ziehen.
3. Die indische Variante breitet sich in Grossbritannien aus
Gerade erst haben sich die Briten wieder an ihr Bier im Pub gewöhnt, die Corona-Zahlen glänzen, Boris Johnson darf sich als erfolgreicher Krisenmanager feiern. Doch die indische Variante B1.617 breitet sich rasant in Grossbritannien aus. In vier von neun englischen Regionen lag der Anteil zum 1. Mai bereits bei 10 bis 25 Prozent aller Infektionen in England – Tendenz steigend.
Das sind schlechte Nachrichten. Nach der englischen Gesundheitsbehörde stufte auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die zuerst in Indien nachgewiesene Variante am Montag als «besorgniserregend» ein. «Es liegen Informationen vor, die auf eine erhöhte Übertragbarkeit hinweisen», sagt die WHO-Expertin Maria Van Kerkhove. Nach vorläufigen Studienergebnissen könnte zudem das menschliche Immunsystem anders auf diese Variante reagieren.
Noch ist unklar, ob beziehungsweise inwiefern Impfstoffe gegen die indische Variante weniger wirksam sind. In Grossbritannien wurde allerdings vor allem Astrazeneca eingesetzt – das Vakzin ist zumindest gegen die Variante aus Südafrika wohl etwas weniger wirksam als mRNA-Impfstoffe.