Dürre, Hunger und der ständige Terror der islamistischen Al-Shabab-Milizen: Es gibt gute Gründe für die 17 Millionen Somalier, aus ihrem bitterarmen Heimatland zu fliehen. Millionen haben das seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs Anfang der 1990er-Jahre gemacht.
Die allermeisten sind in den Nachbarländern Äthiopien und Kenia geblieben. Knapp 9000 leben in der Schweiz. 2671 sind derzeit im Asylprozess: Damit steht Somalia an sechster Stelle in der Schweizer Asylstatistik hinter der Ukraine, der Türkei, Afghanistan, Syrien, Eritrea und dem Irak.
Geht es nach dem Willen der Regierung in Mogadischu, sollen all diese Menschen jetzt so schnell wie möglich nach Somalia zurückkehren – trotz der Hungerkrise, von der jeder vierte Somalier bereits betroffen ist. Mohamed Ahmed Diiriye (49), der stellvertretende Bürgermeister von Mogadischu, lässt seinen Landsleuten in der Schweiz via Blick ausrichten: «Kommt zurück! Euer Heimatland hat sich verändert. Unser Kampf gegen die Terroristen ist erfolgreich.»
«Nur wir Somalis können unser Land wieder aufbauen»
Diesem Aufruf schliesst sich Mohammed Moalim (40) an. Der Berater beim Amt für Katastrophenhilfe, so etwas wie dem somalischen Zivilschutz, sagt beim Gespräch mit Blick in seinem Büro in Mogadischu: «Nur wir Somalis können unser Land wieder aufbauen. Sonst wird das keiner für uns tun. Wenn wir jetzt anpacken, dann kann es klappen.»
Der Aufbaubedarf am Horn von Afrika ist gigantisch. Von 1969 bis 1991 hat der Diktator Siad Barre Somalia zugrunde gerichtet. Danach versank das Land in einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg. Somaliland und Puntland im Norden spalteten sich ab. Weite Teile des Südens werden heute von der islamistischen Terrororganisation Al-Shabab kontrolliert. Drei von vier Nutztieren sind in den vergangenen fünf Jahren gestorben. Seit fünf Jahren hat es nicht mehr richtig geregnet.
Mohamed Ahmed Diiriye aber sagt, nicht alles sei nur schlecht. Der Vizebürgermeister, der im Januar bei einem Attentat auf sein Büro nur knapp mit dem Leben davongekommen ist, betont: «Die Stadt ist sicherer geworden.» Man investiere beispielsweise in neue Asphaltstrassen. Zudem gebe es rund um den Flughafen mehrere Neubauprojekte: ideal für Rückkehrerinnen und Rückkehrer.
Somalia wäre bankrott ohne die Flüchtlinge
Was Ahmed Diiriye bei seiner Rückkehr-Aufforderung ausblendet: Ohne die rund 1,6 Milliarden Dollar, die Somalier im Ausland laut der Uno jährlich in ihre Heimat überweisen, ginge es den Menschen im korruptesten Land der Welt noch schlechter. Im Ausland nützen die verlorenen Töchter und Söhne dem Land mehr als zu Hause in der kaputten Heimat.
Blick hat sich bei jungen Somaliern in Mogadischu umgehört. Mehrere erzählen übereinstimmend, dass Somalier im Ausland oft unbewusst als Lockvögel für ihre zurückgebliebenen Verwandten und Bekannten dienen, wenn sie etwa in den sozialen Medien von ihrem vermeintlich guten Leben in Europa erzählen.
Die Flucht in die verheissungsvollen Länder ist für Somalier zwar extrem gefährlich. Der monatelange Trip führt durch Äthiopien, den Sudan und Libyen übers Mittelmeer an die europäische Küste. Unterwegs warten kriminelle Schlepper, sogenannte «Magaffe», die die Flüchtenden entführen und von deren Familien Lösegeld fordern. Trotzdem, sagt ein junger Somalier zu Blick: «Wenn man den Menschen hier das Geld für die Reise geben würde, dann wären die allermeisten sofort weg.»
Schweiz schickt abgewiesene Asylbewerber zurück nach Somalia
Die offizielle Schweiz ist für somalische Geflüchtete kein sicherer Hafen. Seit 2018 schickt sie Somalier mit einem negativen Asylentscheid wieder zurück in ihre Heimat. 168 Abgewiesene seien freiwillig gegangen, 7 habe man zurückgeführt, schreibt das Staatssekretariat für Migration auf Anfrage von Blick. Um das Leid am Horn von Afrika zu lindern, investiert die Schweiz jährlich rund 54 Millionen Franken in die Region. Je ein Drittel werden in Nahrungsmittelhilfe, für Sicherheitsprojekte und für Gesundheitsinitiativen ausgegeben.
Der Ausblick des somalischen Amts für Katastrophenhilfe macht trotzdem wenig Hoffnung, dass sich an der Situation bald etwas ändert. Bis 2030 steigt die Durchschnittstemperatur in Somalia voraussichtlich noch einmal um 1,5 Grad. Die Dürre und der Hunger werden noch extremer. Und ob die Ukraine und Russland, von wo Somalia bis zum Kriegsausbruch rund 90 Prozent seines Getreides bezogen hat, bald wieder Nahrungsmittel liefern können, ist unklar. Katastrophenhilfe-Berater Moahmmed Moalim gibt zu: «Es wird extrem schwierig sein, in diesem Teil der Welt hier überhaupt noch leben zu können.»