Ihr Kopf ist kahl, ihre Finger sind gebrochen, und ihr ganzer Körper ist übersät mit Prellungen und Blutergüssen: Die Investigativjournalistin Elena Milaschina wurde am Dienstag von Angreifern in Tschetschenien übel zugerichtet – und am Schluss mit einem grünen Färbemittel übergossen.
Unterdessen ist sie in Moskau in einem Spital. «Ihr Zustand ist, offen gesagt, schwierig», sagte «Nowaja Gaseta»-Chefredaktor Dmitri Muratow am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP. Milaschina selbst berichtete in einem Interview, zehn bis 15 Angreifer hätten sie mit Kunststoffrohren verprügelt.
«Es hat sehr wehgetan»
Die 45-jährige Investigativjournalistin sagte, die von den Angreifern benutzten Rohre würden von den Behörden routinemässig eingesetzt, um Häftlinge in Tschetschenien zu misshandeln. «Es ist eine mächtige Waffe», sagte sie. «Es hat sehr wehgetan.»
Milaschina berichtet seit Jahren über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. Sie war am Dienstag früh zusammen mit dem Anwalt Alexander Nemow angegriffen worden, der eine Verletzung durch einen Messerstich davontrug. Im neuen Video äusserte die Journalistin die Vermutung, dass der Angriff mit ihrer Arbeit mit Nemow zu tun habe. Sie habe gehört, wie die Angreifer zum Anwalt gesagt haben, dass er «zu viele Menschen» verteidige.
Angreifer wollte Zugang zu ihrem Smartphone
Nach Angaben von Chefredaktor Muratow prügelten die Angreifer auf Milaschina ein, brachen ihr die Finger und verlangten Zugang zu ihrem Smartphone. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hatte am Dienstag mitgeteilt, neben den gebrochenen Fingern habe Milaschina Prellungen «am ganzen Körper» und verliere zeitweise das Bewusstsein. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch rasierten die Angreifer Milaschina die Haare ab und übergossen sie mit grünem Färbemittel.
Vor ihrer Verlegung nach Moskau wurde Milaschina zunächst in einem Krankenhaus in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny und dann im benachbarten Nordossetien behandelt. In einem ersten Video aus dem Krankenhaus hatte Milaschina den Vorfall bereits beschrieben: «Sie warfen den Taxifahrer raus, sprangen ins Auto, drückten unsere Köpfe nach unten, fesselten meine Hände (...) und hielten uns eine Waffe an den Kopf.»
Kadyrow hatte sie schon früher bedroht
Die russischen Ermittlungsbehörden haben einen Tag nach dem Überfall auf einen Anwalt und eine bekannte Journalistin in Tschetschenien ein Strafverfahren eingeleitet. Es werde wegen leichter und mittelschwerer Körperverletzung ermittelt, teilte das russische Ermittlungskomitee am Mittwoch auf seinem Telegram-Kanal mit.
Milaschina war bereits 2020 von Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow mit dem Tod bedroht worden, nachdem sie kritisch über den brutalen Umgang mit der Bevölkerung in der Corona-Pandemie berichtet hatte.
Kadyrow versicherte am Dienstag, er habe die zuständigen Stellen beauftragt, «alles in die Wege zu leiten, um die Angreifer zu identifizieren». Der tschetschenische Informationsminister Achmed Dudajew machte ohne die Vorlage von Beweisen «westliche Geheimdienste» für den Angriff verantwortlich. Zugleich warf er Milaschina vor, sie habe die tschetschenischen Sicherheitsbehörden «über Jahre hinweg beleidigt».
Wollte über Prozess berichten
Die preisgekrönte Investigativjournalistin hatte jahrelang für die «Nowaja Gaseta» über schwere Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, etwa über aussergerichtliche Hinrichtungen, berichtet. Im Februar 2022 hatte sie Russland laut Angaben ihrer Zeitung nach Drohungen Kadyrows, der sie als «Terroristin» bezeichnete, kurzzeitig verlassen.
Am Dienstag war Milaschina erneut nach Tschetschenien gereist, um aus der Regionalhauptstadt Grosny über den Ausgang eines aufsehenerregenden Prozesses gegen Sarema Musajewa zu berichten. Diese ist mit einem Kadyrow-Gegner verheiratet und die Mutter dreier exilierter Kadyrow-Kritiker.
Bei der «Nowaja Gaseta», deren Herausgeber Muratow 2021 den Friedensnobelpreis erhielt, wurden seit 2000 sechs Journalisten und Mitarbeiter getötet, darunter die Enthüllungsreporterin Anna Politkowskaja. (neo/AFP/SDA)