Heute Mittwoch wird der Uno-Sicherheitsrat in New York eine Sitzung zur «Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in der Ukraine abhalten». Dabei könnte es zu einer brisanten Gegenüberstellung kommen: An der Sitzung sollen auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) und der russische Aussenminister Sergej Lawrow (73) teilnehmen. Dies berichtet die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti.
An der Sitzung im Format der offenen Debatte werden nicht nur die 15 Mitglieder des Sicherheitsrats, die fünf Vetomächte und zehn nicht-ständigen Mitglieder teilnehmen, sondern auch andere Uno-Länder. Theoretisch wäre sogar möglich, dass auch US-Präsident Joe Biden (80) überraschend auftaucht. Der US-Präsident wird aber wohl nur seinen Aussenminister Antony Blinken (61) schicken und Selenski am Donnerstag im Weissen Haus empfangen.
Den russischen Berichten zufolge wird erwartet, dass Selenski zum ersten Mal seit Beginn des Krieges in offizieller Mission im Uno-Sicherheitsrat erscheint, dem mächtigsten Uno-Gremium. Die Debatte beginnt um 11 Uhr (17 Uhr MESZ). Sie soll bis am späteren Nachmittag Ortszeit dauern. Bereits am Dienstag hielt Selenski eine Rede im Rat.
Vereinte Nationen ergreift keine besonderen Sicherheitsmassnahmen ...
An der Spitze der Delegation, die Russland bei der Uno-Generalversammlung vom 19. bis 26. September vertritt, steht der russische Aussenminister Lawrow. Ria Nowosti meldete bereits am Sonntag die Teilnahme von Lawrow und Selenski an der Sitzung. Die Nachrichtenagentur bestätigte die Meldung am späten Dienstag erneut.
Laut Uno-Angaben werden keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen für den Anlass getroffen. Selenski und Lawrow müssten dort auch erklären, warum sie Friedensgespräche gegenwärtig ablehnen.
... doch Selenski versetzt Uno-Hauptquartier in Ausnahmezustand
Das Uno-Hauptquartier in New York hat in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich alles gesehen: Es wurde Frieden geschlossen und Krieg geschürt. Präsidenten und Könige, Papst Franziskus (86) oder Nelson Mandela (1918–2013) – alle waren sie dort. Doch der Ausnahmezustand, in den der ukrainische Präsident die Zentrale der Vereinten Nationen dieser Tage versetzt, fühlt sich anders an.
Eng umringt von amerikanischen und ukrainischen Personenschützern, einige von ihnen wie er in militärischer Kleidung, bringt Selenski die Aura des Kriegs in seinem Land zur Uno-Generaldebatte. Und an diesem Mittwoch könnte er dem Aggressor erstmals im berühmten Sicherheitsrat gegenübertreten.
Grossem Risiko ausgesetzt
Der Aufwand, den die amerikanischen Sicherheitsdienste für Selenskis Besuch betreiben, kommt dem für den US-Präsidenten gleich. Schon vor Wochen begann die komplizierte Vorbereitung. Die Uno-Zentrale gehört offiziell nicht zum amerikanischen Staatsgebiet und hat einen eigenen Sicherheitsdienst – Diplomaten, Journalisten und Lobbyisten aus Dutzenden Ländern laufen dort herum.
Und es gilt als offenes Geheimnis, dass der eine oder andere Russe im Haus die Moskauer Geheimdienste nicht nur aus dem Fernsehen kennt. Aus diesem Grund ist Selenski selbst hier einem Risiko ausgesetzt – 7500 Kilometer und einen Ozean entfernt von Kiew, hinter einem hohen Zaun und mehreren Sicherheitskontrollen.
Selenski soll heute in den Saal des Uno-Sicherheitsrats, wo Ende Februar 2022 während des Ukraine-Einmarschbefehls Russlands eine eiligst anberaumte Dringlichkeitssitzung stattgefunden hatte. Vor dem riesigen «Wandbild des Friedens» wird er an dem runden Tisch Platz nehmen, wo wohl auch Lawrow sitzen wird.
Russland in der Bredouille
Der ukrainische Uno-Botschafter Serhij Kislizia (54) spricht vom bedeutsamsten Treffen des mächtigsten Uno-Gremiums. Ausser den festen Mitgliedern können bei der offenen Debatte auch andere Länder auf Anfrage sprechen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur will der Rat Selenski am Mittwoch erlauben, schon zu Beginn der Sitzung das Wort zu ergreifen. Das könnten die Mitglieder mit 9 der 15 Stimmen durchsetzen, selbst wenn Russland sich dagegen stemmt – bei sogenannten prozeduralen Abstimmung gilt das Veto nicht.
Abgebrühter Lawrow, doch wohl kein wilder Schlagabtausch
Doch auch Lawrow, jahrelang selbst Uno-Botschafter, kennt die Kniffe im Sicherheitsrat. Im vergangenen Jahr betrat er den Saal nur genau 23 Minuten lang für seine Ansprache und ignorierte den ukrainischen Aussenminister Dmytro Kuleba (42).
Einen wilden Schlagabtausch von Selenski und Lawrow erwarten die wenigsten. Doch im Uno-Hauptquartier passieren die historischen Momente gern ohne Ankündigung. (kes/SDA)