«Die Ukraine wird erpresst»
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Experte über Ukraine-Krise:«Die Ukraine wird erpresst»

Selenskyj warnt vor Panik
Warum ist ausgerechnet Ukraines Präsident so gelassen?

Aus westlicher Sicht herrscht in der Ukraine längst Alarmstufe Rot. Am ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskyj scheint die Kriegsangst jedoch weitgehend vorbeizugehen. Warum?
Publiziert: 01.02.2022 um 20:58 Uhr
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Aktualisiert: 02.02.2022 um 07:01 Uhr
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Selenskyi wirft dem Westen «Panikmache» vor.
Foto: keystone-sda.ch

An der ukrainischen Grenze stehen die russischen Truppen, der Westen befürchtet Krieg.

Und Ukraines Präsident? Warnt vor Panik.

Es gebe keine grössere Eskalation als noch vor einem Jahr. «Fahren bei uns etwa Panzer auf den Strassen herum? Nein! Das glaubt man vielleicht, wenn man nicht hier ist», wetterte Staatschef Wolodimir Selenskyj (44) am vergangenen Freitag vor Journalisten. Es sind bemerkenswerte Aussagen – hatte der Chef der ukrainischen Militäraufklärung, Kyrylo Budanow, noch vor wenigen Monaten für Ende Januar den Einmarsch prognostiziert.

Auch die USA bekamen Selenskyjs verbale Attacke ab: «Sobald das Weisse Haus begreift, dass es gewisse Risiken gibt, reden sie ständig davon. Meiner Meinung nach ist das ein Fehler, weil die Welt sehr stark darauf reagiert.» Er sei zwar dankbar für die konstante Unterstützung, «aber ich kann nicht wie andere Politiker sein, die den Vereinigten Staaten einfach nur dankbar sind, weil sie die Vereinigten Staaten sind.»

USA wundern sich über Selenskyi

In Washington wurde dies irritiert zur Kenntnis genommen. Viele US-Medien berichteten ausführlich. Die US-Seite legte mit Schreckensszenarien nach – konkreter denn je: Verteidigungsminister Lloyd Austin (68) und Generalstabschef Mark Milley (63) deklinierten gemeinsam verschiedene militärische Optionen durch, die Russland habe.

Sollten die gesammelten russischen Kräfte angreifen, würde das «zu einer beträchtlichen Anzahl von Opfern führen», hiess es aus Washington. Später verteidigte die US-Regierung ihre Warnungen dann noch einmal explizit. «Wir halten es für wichtig, offen und ehrlich, über die Bedrohung durch Russland zu sprechen», sagte die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki (43), am Montag.

Was steckt hinter Selenskyis Verhalten?

Für den ukrainischen Präsidenten ist die Situation ein Dilemma. Zwar braucht er die finanzielle und militärische Unterstützung internationaler Partner, allen voran der USA, und muss das russische Vorgehen daher als bedrohlich darstellen – gleichzeitig muss er seinen Ton fein balancieren.

1. Er will keine Panik schüren

Es ist wohl das schlichteste Motiv: Selenskyj will seine Bevölkerung beruhigen – und den Ukrainern den Eindruck zu vermitteln, er habe die Lage im Griff.

2. Er hat Angst um die Wirtschaft

«Wir müssen heute die Wirtschaft unseres Landes stabilisieren. Durch all diese Signale, dass morgen Krieg ist, gibt es Panik auf den Märkten und im Finanzsektor», sagte er selbst.

Die Ukraine ist ökonomisch schwach. Die Angst vor einer militärischen Eskalation verschlimmert die Lage.

Umgerechnet mehr als elf Milliarden Franken haben ausländische Investoren Selenskyj zufolge bereits abgezogen. Die Landeswährung Hrywnja fiel gegenüber dem US-Dollar auf den tiefsten Stand seit Februar 2015.

Schon jetzt ist die Inflation zweistellig. Eine weitere Abwertung der Hrywnja würde die bereits hohen Importpreise für Erdgas, Kohle und Atombrennstoff noch mehr nach oben treiben. Das wiederum zwänge die Regierung, die Inlandspreise für Gas, Strom, Warmwasser und Heizung stark anzuheben. Die Unzufriedenheit mit der Wirtschaftslage könnte Selenskyjs Beliebtheitswerte noch weiter nach unten drücken.

3. Er will Russland keine Zugeständnisse machen

Das 2015 ausgehandelte Minsker Abkommen, das den von Russland kontrollierten Gebieten in der Ostukraine Autonomiestatus gewähren würde und deshalb wenig Rückhalt in der Bevölkerung geniesst, ist nach wie vor der einzige Friedensplan, der auf dem Tisch liegt.

Mit der Verbreitung von Kriegsangst setzten die USA die Ukraine unter Druck, weitere Verpflichtungen aus dem 2015 ausgehandelten Friedensplan von Minsk umzusetzen, sagte der ukrainische Politologe Mychajlo Pohrebynskyj der russischen Tageszeitung «Kommersant». Nur ein Entgegenkommen Kiews könne die Lage noch deeskalieren. In der eigenen Bevölkerung würde sich Selenskyj damit allerdings viele Feinde machen. (SDA/kin)

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