Selenski-Berater zum Ukraine-Krieg
«Putin plant eine neue Offensive»

Alexander Rodnyansky berät den ukrainischen Präsidenten. Im Interview mit SonntagsBlick gibt er exklusive Einblicke in die Überlegungen der Regierung in Kiew. Und er fordert die Schweiz auf, härter zu intervenieren.
Publiziert: 27.03.2022 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 27.03.2022 um 10:38 Uhr
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Alexander Rodnyansky (36) gehört zum innersten Kreis des ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenski.
Interview: Fabian Eberhard

Als vor einem Monat die ersten Bomben auf die Ukraine fielen, versteckte sich Alexander Rodnyansky zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in einem Bunker in Kiew. SonntagsBlick erreicht ihn am Telefon. Sein Whatsapp-Status: «Tough times don’t last, tough people do» – harte Zeiten sind nicht von Dauer, harte Menschen schon. Rodnyansky klingt müde. Seit Tagen lobbyiert er in Berlin für ein Öl- und Gas-Embargo gegen Russland, führt Gespräche mit der deutschen Bundesregierung. In wenigen Tagen reist er zurück nach Kiew.

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SonntagsBlick: Die westlichen Regierungschefs konnten sich am Donnerstag in Brüssel nicht zu einem Energie-Embargo gegen Russland durchringen. Sind Sie enttäuscht?
Alexander Rodnyansky:
Und wie. Ich finde das beschämend. Solange es dieses Embargo nicht gibt, kann Russland den Krieg weiter finanzieren. Warum wird nicht mehr getan?

Ein Importstopp für russisches Öl und Gas birgt für Europa grosse wirtschaftliche Risiken.
Ich verstehe diese Argumentation nur teilweise. Ich glaube, das Risiko ist überschätzt. Es gibt Berechnungen, was ein Embargo kosten würde, und so katastrophal fällt das am Ende nicht aus. Ausserdem ist das Risiko für den Westen viel höher, wenn er so weitermacht wie bisher.

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Bitte erklären Sie.
Der Krieg könnte sich irgendwann ausweiten. Und selbst wenn das nicht geschieht, sind andauernde Kämpfe katastrophal für die Wirtschaft. Allein die Ungewissheit darüber, ob der Krieg weiter eskalieren wird, schadet der Wirtschaft auf die Dauer gesehen deutlich mehr als ein Energie-Embargo. Und wir sollten nicht vergessen: Die Bevölkerung in den meisten Ländern Europas ist für härtere Massnahmen gegen Russland. Die Politik sollte den Willen des Volkes schnellstmöglich umsetzen – es eilt!

Als Topökonom des ukrainischen Präsidialamts arbeiten Sie Sanktionsvorschläge aus und unterbreiten diese dem Westen. Stehen Sie auch in Kontakt mit der Schweiz?
Wir sind in engem Kontakt mit all unseren Partnerländern, auch mit der Schweiz. Ihr Land ist sehr wichtig für uns.

Persönlich

Alexander Rod­nyansky (36) ist seit zwei Jahren einer der engsten Berater des ukrainischen Präsidenten Wolo­dimir Selenski. Er wurde in Kiew geboren und lebte zehn Jahre lang, bis zum Abitur, in Düsseldorf (D). Seinen Doktor machte er an der US-Universität Princeton; bis zum Kriegsausbruch in der ­Ukrai­ne arbei­tete er als Assistenzprofessor für Öko­nomie an der englischen Cambridge University. Rod­nyanskys Vater Ale­xander hatte den ukrainischen TV-Sender 1+1 aufgebaut und Selen­skis erste ­TV-Show produziert.

Alexander Rod­nyansky (36) ist seit zwei Jahren einer der engsten Berater des ukrainischen Präsidenten Wolo­dimir Selenski. Er wurde in Kiew geboren und lebte zehn Jahre lang, bis zum Abitur, in Düsseldorf (D). Seinen Doktor machte er an der US-Universität Princeton; bis zum Kriegsausbruch in der ­Ukrai­ne arbei­tete er als Assistenzprofessor für Öko­nomie an der englischen Cambridge University. Rod­nyanskys Vater Ale­xander hatte den ukrainischen TV-Sender 1+1 aufgebaut und Selen­skis erste ­TV-Show produziert.

Warum?
Wir wissen alle, dass auf Schweizer Banken enorm viel Gelder der russischen Elite liegen. Für uns ist es überlebenswichtig, dass die Schweiz den globalen Druck auf Russland mitträgt und damit dafür sorgt, dass dieser Krieg bald endet.

Vor einer Woche redete Präsident Selenski der Schweiz bei einer Videoschaltung ins Gewissen: «Ich möchte, dass Sie spüren, was es bedeutet, wenn friedliche Städte zerstört werden – von Menschen zerstört werden, die in schönen Schweizer Gemeinden wohnen, die ihre Anwesen in Schweizer Städten geniessen. Diesen Menschen muss dieses Privileg entzogen werden.»
Das meine ich. Die Schweiz hat grossen Einfluss bei den personellen Sanktionen gegen reiche Russinnen und Russen. Ich wünschte mir, dass Ihr Land in diesem Bereich noch mehr tut.

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Die Schweiz geht bei den Sanktionen einen Sonderweg. Sie setzt auf eine Meldepflicht. Personen und Institutionen, die Vermögenswerte sanktionierter Russen halten oder verwalten, müssen diese dem Bund von sich aus melden.
Das reicht nicht. Die Schweiz muss wie andere Staaten aktiv nach Vermögen suchen. Ein Grossteil der russischen Eliten agiert nach wie vor im Verborgenen. Sie verstecken ihre Gelder. Die Schweiz muss mehr tun, härter intervenieren. Zudem wäre es wichtig, dass Listen mit sanktionierten Personen international noch besser aufeinander abgestimmt werden.

Sehen Sie noch andere Rollen für die Schweiz? Als neutrales Land könnte die Schweiz eine Friedenskonferenz ausrichten.
Die Hauptpriorität liegt für uns bei den Sanktionen. Über den Frieden wird ja bereits andernorts verhandelt.

Wie kommen die Verhandlungen voran?
Schleppend. Ich glaube sogar, dass Russland unsere Dialogbereitschaft nur ausnutzt, ohne selbst an Dialog zu glauben.

Und warum dann die Verhandlungen?
Sie sind eine Strategie Russlands, um den Westen abzulenken. Putin hofft, dass der Westen mit härteren Sanktionen zuwartet, solange ein Frieden möglich scheint. Putin versucht, sich Zeit zu kaufen, um neue Offensiven zu planen. Er treibt ein heimtückisches Spiel.

Wäre die Ukraine zu Kompromissen bereit?
Wir sind bereit, über eine Neutralität der Ukraine zu sprechen. Ein Nato-Beitritt ist ja sowieso nicht realistisch, das wurde uns vonseiten der Nato klar kommuniziert. Eine Neutralität ist für uns aber nur denkbar, wenn sie an konkrete Sicherheitsgarantien geknüpft ist.

Wäre die Ukraine auch bereit, Territorien abzugeben?
Nein.

Auch die von Russland 2014 annektierte Krim nicht?
Auf keinen Fall.

Eine weitere Forderung Putins ist die Entmilitarisierung der Ukraine.
Uns ist nicht ganz klar, was die russische Seite damit überhaupt meint. Klar ist: Wir brauchen natürlich weiterhin eine Armee. Die wird es weiterhin geben.

Ihre Armee wird gerade vom Westen aufgerüstet. Wie wichtig sind diese Waffenlieferungen?
Sie sind entscheidend, genauso wie die Sanktionen. Aber auch da vermissen wir ein schnelles Handeln des Westens. Wir warten nach wie vor auf Waffen und Munition. So gäbe es in der EU etwa grosse Bestände von Waffen aus der Sowjetzeit. Die EU ist nicht auf diese angewiesen, wir aber schon.

Das Problem ist: Je stärker sich der Westen militärisch engagiert, desto grösser wird das nukleare Risiko.
Die Androhung von Atomwaffen ist doch nur eine Einschüchterungstaktik von Putin. Er will den Westen von einer Intervention abhalten.

Sie sehen keine Gefahr, dass Putin Atomwaffen einsetzen könnte?
Nein. Allein schon, weil die russische Elite viel zu viel zu verlieren hat. Das sind Menschen, die gerne leben. Sie besitzen Yachten im Wert von Hunderten Millionen Franken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer in Russland Interesse an einem Atomkrieg hat.

Haben die russischen Eliten denn überhaupt Einfluss auf diese Entscheidung?
Leider immer weniger. Putin hat sich in den letzten Jahren bewusst isoliert. Als autoritärer Herrscher, als KGB-Mann weiss er, dass er sich vor einer Palastrevolte schützen muss. Jeder menschliche Kontakt stellt da ein Risiko dar.

Das heisst, eine Palastrevolte ist eher unwahrscheinlich?
Unwahrscheinlich, aber möglich.

Wie kann Putin sonst gestoppt werden?
Längerfristig hoffe ich auf einen Aufstand der Zivilbevölkerung. Das autoritäre Regime Putins muss aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Das Wichtigste ist jetzt aber, dem russischen Staat die Finanzierung des Krieges zu nehmen. Dieses Ziel ist noch lange nicht erreicht. Mit den Preisen, die der Westen noch immer für Öl und Gas bezahlt, kann Putin den Krieg noch lange finanzieren.

Nun reisen Sie in den nächsten Tagen zurück nach Kiew.
Das ist der Plan.

Das heisst, zurück ins Kriegsgebiet. Haben Sie Angst?
Ich bin mir der Gefahr bewusst. Zurzeit habe ich aber nur einen Gedanken: Wir müssen unser Land retten.

In Kiew treffen Sie den Präsidenten wieder persönlich. Hat er sich seit Kriegsbeginn verändert?
Er ist zu einer noch stärkeren Führungsfigur geworden. Ich erlebe ihn härter, durchsetzungsfähiger und entschiedener.

Als persönlicher Berater Selenskis dürften auch Sie selbst für die Russen ein militärisches Ziel sein.
Wie gesagt, ich bin mir der Gefahr bewusst – und wir treffen entsprechende Sicherheitsmassnahmen. Sie verstehen aber sicher, dass ich dazu keine Details preisgeben kann. Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir trotz aller Risiken kämpferisch bleiben.

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