Vier Tage, drei Länder, Milliarden an Militärhilfe: Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski (45) war von Samstag bis Montag auf einer Rundreise zu europäischen Verbündeten und kehrte mit vollem Waffenarsenal zurück in die Ukraine.
Luftabwehrraketen, Drohnen und «Storm Shadow»-Langstreckenraketen aus Grossbritannien. Frankreich hat zusätzliche Militärhilfe zugesagt, darunter leichte Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und am Dienstag Langstreckenraketen des Scalp-Typs. Das sonst so zurückhaltende Deutschland verdoppelt seine Militärhilfe und wird Material im Wert von 2,7 Milliarden US-Dollar in die Ukraine schicken. In Italien bekam Selenski zumindest die «volle Unterstützung» bei seinen Bemühungen, die «brutale und ungerechte Aggression» Russlands abzuwehren.
Jede Hilfe zählt
Lange haben sie gezögert, jetzt rühren sich die europäischen Mächte wieder. Der Grund? Die Ukraine steckt in einer entscheidenden Phase des Kriegs. Briten-Premier Rishi Sunak (43) sagte am Montag: «Das ist ein entscheidender Moment im Widerstand der Ukraine gegen einen schrecklichen Angriffskrieg.» Jetzt zählt jede Hilfe, materiell und moralisch.
Noch letzte Woche warnte Selenski, dass eine Gegenoffensive ohne weitere Waffenlieferungen unmöglich sei. Nun, mit den frischen Zusagen aus Europa, könnte der Gegenschlag unmittelbar bevorstehen.
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Analysten der US-Zeitung New York Times zufolge spiegeln die verstärkten Zusagen Europas auch die wachsende Zuversicht wider, dass die ukrainischen Truppen mit ihrer Gegenoffensive entscheidende Durchbrüche erzielen könnten.
Jacob Funk Kirkegaard ist ehemaliger Geheimdienstoffizier der dänischen Armee und Senior Fellow beim German Marshall Fund in Brüssel. «Wir würden der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt nicht so viele Waffen zur Verfügung stellen, wenn wir der Meinung wären, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie Erfolg haben werden», sagte Kirkegaard gegenüber der US-Zeitung. «Nichts ist sicher, aber wir im Westen scheinen zunehmend optimistisch gegenüber der Ukraine zu sein.»
Wird die USA einen Schritt zurückmachen?
Selenskis Reise hängt aber nicht nur mit der sich abzeichnenden Gegenoffensive zusammen. Hinter seiner Blitz-Reise nach Europa steckt auch die Angst davor, dass sich die beispiellose Unterstützung der USA ihrem Ende zuneigt. Deshalb ist eine erneute Charme-Offensive in Europa für ihn bitter nötig.
Es könnte sein, dass US-Präsident Joe Biden (80) im Zuge des sich zuspitzenden amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes weniger in der Lage sein wird, die diplomatischen Bemühungen anzuführen. Das bereite Selenski Sorgen, so deutsche und ukrainische Beamte zur «New York Times».
Zwar unterstützt eine Mehrheit der Amerikaner die US-Hilfe an die Ukraine noch immer. Doch laut dem amerikanischen Pew Research Center fordern vor allem konservative Wähler und Politiker ein Ende der grossen Hilfspakete. 55 Prozent der Befragten sind ausserdem der Meinung, dass die USA sich weniger um Probleme im Ausland kümmern und sich auf die Probleme im eigenen Land konzentrieren sollten. Darauf wird auch Biden reagieren müssen.
Grossbritannien prescht voran
Falls die USA tatsächlich kürzertreten, könnte Grossbritannien deren Platz einnehmen. Mit seinem aggressiven Vorgehen hat Grossbritannien oft als Vorreiter für zögerlichere westliche Länder gewirkt, die Ukraine mit schwereren Waffen zu beliefern.
Die Entscheidung Grossbritanniens im Januar, 14 Challenger-2-Kampfpanzer zu entsenden, war beispielsweise ein Vorbote der Entscheidung Deutschlands und der USA, modernere Panzer zu liefern. Nun hat Grossbritannien auch bei den Langstreckenraketen den ersten Schritt gemacht und hat «Storm Shadow»-Raketen in die Ukraine gesendet. Am Dienstag hat es Frankreich dem Land gleichgetan.