Selbst Top-Propagandistin Simonjan meldet Zweifel an
Russlands Elite glaubt nicht mehr an Putins Sieg

Viele in Moskaus Elite glauben nicht mehr an einen Sieg Putins im Ukraine-Krieg. Ihre grösste Hoffnung bleibt, dass Russland ohne Demütigung verliert. Selbst eine prominente, eben noch glühende Verehrerin von Putins totalem Krieg fordert das Ende des Blutvergiessens.
Publiziert: 09.06.2023 um 01:10 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2023 um 09:49 Uhr
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Kann nach bald 16 Monaten Krieg in der Ukraine keine Erfolge vorweisen: der russische Kriegspräsident Wladimir Putin.
Foto: IMAGO/SNA
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Kann nach bald 16 Monaten Krieg in der Ukraine keine Erfolge vorweisen: der russische Kriegspräsident Wladimir Putin.
Foto: IMAGO/SNA

Innerhalb von Russlands Elite und Propagandisten macht sich zunehmend Ernüchterung über die Siegesaussichten in der Ukraine breit. Jetzt hat selbst ein langjähriges Mitglied des Kreml-Establishments Zweifel an Siegeschancen geäussert. Margarita Simonjan (43), Chefin des russischen Staatssenders RT und eine von Putins Top-Propagandisten, hat vorgeschlagen, den Krieg in der Ukraine «einzufrieren». Eine Einfrierung der Kampfhandlungen sei der beste Ausweg für Russland aus einem Konflikt, in dem hochmoderne westliche Waffen Moskau zunehmend unter Druck setzen würden.

Simonjan ruft nicht länger zum totalen Krieg gegen die Ukraine auf. Im Fernsehen hat sie sich zur besten Sendezeit für eine Verhandlungslösung und die Einstellung der Kampfhandlungen ausgesprochen, wie «The Telegraph» berichtet. Zudem solle Russland in den eroberten Gebieten Referenden organisieren.

«Es wäre gut, das Blutvergiessen jetzt zu stoppen, dort zu bleiben, wo wir sind, es einzufrieren und Referenden abzuhalten», sagte Simonjan in der Talkshow von Chef-Propagandist Wladimir Solowjow (59) zur Hauptsendezeit auf Rossija 1. «Brauchen wir Gebiete, in denen die Menschen nicht mit uns leben wollen? Ich bin mir nicht sicher.»

Weit verbreitete Ernüchterung

Die überraschenden Äusserungen von Simonjan lösten gleich einen Empörungsaufschrei unter russischen Hardlinern aus. «Wer bezahlt sie?», fragte ein bekannter Kolumnist. Solche Vorschläge seien «ein Geschenk des Himmels für westliche Strategen». Andere forderten Simonjans Rücktritt.

Mit ihrer Ernüchterung steht die Propagandistin keinesfalls allein da. Auch Mitglieder der russischen Elite wenden sich zunehmend gegen den Krieg im einstigen sowjetischen Geschwisterstaat. Das Beste, worauf sie noch hoffen können, sei eine Niederlage ohne Demütigung, berichtet «Bloomberg». «Viele in der politischen und wirtschaftlichen Elite sind des Krieges überdrüssig und wollen, dass er aufhört.»

Demnach wachsen Zweifel an höchsten Stellen in Russland, dass ihr Präsident Wladimir Putin (70) fähig sei, das Steuer im Krieg in der Ukraine noch herumzureissen. Die besten Aussichten seien ein «eingefrorener» Konflikt oder eine Niederlage, bei der Russland nicht gedemütigt wird.

Angst vor Putin

«Bloomberg» beruft sich auf sieben Personen, die mit der Situation vertraut sind und angesichts der Schwere der Probleme nicht genannt werden wollen. Demnach seien viele in den oberen Rängen der russischen Politik und Wirtschaft des Krieges überdrüssig und wollten ihn beenden. Fünf Quellen erklärten gegenüber Bloomberg, dass zwar niemand bereit sei, Putin wegen der Invasion «die Stirn zu bieten». Aber der Glaube an seine Autorität sei bereits in den Grundfesten erschüttert.

Inzwischen sei der «Gedanke in der russischen Elite weit verbreitet, dass Putin diesen Krieg nicht gewinnen wird», zitiert der Bericht den ehemaligen russischen Regierungsberater Kirill Rogow, der das Land nach Russlands Invasion verliess und inzwischen eine politische Denkfabrik in Wien leitet.

Dabei sei «offensichtlich», so «Bloomberg» weiter, «dass die reichsten Personen in Russland, die ihr Vermögen durch die Zusammenarbeit mit der Regierung und deren Unterstützung angehäuft haben, nicht willens oder in der Lage sind, sich Putin zu widersetzen – trotz ihres beträchtlichen Reichtums, ihrer Verbindungen und Ressourcen.»

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In- und ausländische Beobachter scheinen einer Meinung, dass Putins Macht am ehesten zu wanken beginnt, wenn Russland den Krieg verliert und die russischen Streitkräfte aus der Ukraine vertrieben werden.

Putin hatte ursprünglich einen schnellen Sieg in der Ukraine in Aussicht gestellt. Doch die «militärische Spezialoperation» hat sich zu einer langwierigen Pattsituation entwickelt, mit enormen Kosten für Russlands Militär, Wirtschaft und Gesellschaft.

Derzeit halten die Russen grosse Gebiete im Südosten und Osten der Ukraine. Eine Grossoffensive Kiews versucht die russischen Truppen diesen Sommer aus den eroberten Gebieten zurückzuschlagen. (kes)

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