Es ist ein Himmelfahrtskommando, der Kampf um das kleine ukrainische Dorf Krynky. Und zwar für die Ukraine wie auch für Russland. Seit bald zwei Monaten kämpfen ukrainische Soldaten auf der Ostseite des Flusses Dnipro gegen Tausende russische Soldaten. Und das sehr erfolgreich.
Nur 35 Kilometer von Cherson entfernt, auf russisch kontrolliertem Gebiet, beissen sich also russische Streitkräfte die Zähne an lediglich 300 ukrainischen Soldaten aus. Weshalb?
Dnipro-Brückenkopf ist «Selbstmordmission»
Der Ukraine gelang es Anfang November, dort einen Brückenkopf zu installieren. Ein Brückenkopf ist die Sicherung einer Flussbrücke – heisst also: An dieser Stelle kann die Ukraine Truppen über den Dnipro bringen.
Westliche Beobachter, wie der US-Thinktank «Institute for the Studies of War» hielten den Brückenkopf zuerst für eine temporäre Stellung. Doch die rund 300 ukrainischen Soldaten halten nun bereits seit zwei Monaten die Stellung am Flussufer. Und das, obwohl Russland alles daran setzt, die Ukrainer wieder auf die Westseite des Flusses zurückzudrängen.
Doch das Halten der Stellung am Dnipro geht Hand in Hand mit grossen Risiken für die ukrainischen Truppen. Sogar das regierungsfreundliche ukrainische Medienprojekt «The Kyiv Independent» kritisierte Ende Dezember auf X: «Wenn ukrainische Soldaten sagen, dass der Dnipro-Brückenkopf eine ‹Selbstmordmission› ist – glaubt ihnen.»
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Und ein ukrainischer Soldat hatte sich Mitte Dezember in einem Interview mit der BBC über mangelnden Nachschub und eine schlechte Versorgungssituation der zuletzt am östlichen Ufer des Dnipro gelandeten ukrainischen Truppen beklagt. «Hier sollten mehrere Brigaden stationiert werden, nicht einzelne Kompanien – wir haben einfach nicht genug Männer», erklärte er.
Ukrainische Verluste zahlen sich aus
Anfang Januar zeigt sich aber: Die eingegangenen Risiken scheinen sich auszuzahlen. Überraschenderweise ist es den zahlenmässig unterlegenen Ukrainern gelungen, Überlegenheit bei Artillerie und Drohnen zu erlangen, indem sie die russischen Drohnen durch Funkstörung am Boden hielten und dann ihre eigenen Drohnen starteten, um russische Haubitzen und Raketenwerfer abzuwehren. Das schrieb der Analyst Donald Hill, der auf seinem Blog die Situation in der Ukraine kontinuierlich analysiert, am Neujahrstag in einem Newsletter.
Eine Taktik, die den Ukrainern laut Hill gut dient: das Ausbauen von Minenfeldern im Schutz der Nacht. «Ukrainische Drohnen verminen nachts die Strassen und legen Lastwagen und Autos lahm. Am Morgen, bevor die russischen Fahrzeuge geborgen werden können, werfen die Drohnen Sprengkörper ab und zerstören sie komplett.»
Das Erbe von General Schukow
Die Minen verleiteten die russischen Soldaten dazu, sogenannte Schukow-Manöver durchzuführen, schrieb ein russischer Militärblogger auf Telegram. Dabei bezieht er sich auf den russischen General Georgi Schukow (1896–1974). Dieser wurde – ob zu Recht oder nicht – berühmt-berüchtigt, weil er behauptete, er habe deutsche Minenfelder geräumt, indem er seinen Soldaten befahl, einfach «darüber zu laufen». Ein Selbstmordkommando.
Infolge der jüngsten Angriffe im Schukow-Stil über neu gesäte Minenfelder habe die russische 104. Luftangriffsdivision «einzigartige Spezialisten» verloren, schrieb der Blogger. Mit jedem fehlgeschlagenen Angriff häuften sich die russischen Verluste und würden dazu beitragen, dass sich der ukrainische Vorsprung in diesem langfristigen Zermürbungskrieg vergrössere. Laut Analysten auf X haben die Russen seit dem 14. Oktober rund um Krynky 143 Stück schweres Gerät verloren.