Schweizerin kehrt trotz Lebensgefahr in ihre Wahlheimat im Donbass zurück
«Was mit der Ukraine passiert, ist völlig ungewiss»

Jahrelang führte Eva Samoylenko-Niederer (43) in Slowjansk ein Kinderheim – bis Putins Truppen es 2022 kaputtbombten. Zu Weihnachten kehrte die Schweizerin nun in die Ostukraine zurück – trotz den rasch näher rückenden russischen Soldaten. Sie will helfen, wo sie kann.
Publiziert: 02.01.2025 um 00:11 Uhr
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Aktualisiert: 02.01.2025 um 08:50 Uhr
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Eva Samoylenko-Niederer hat in der Donbass-Stadt Slowjansk jahrelang ein Kinderheim betrieben.
Foto: RMS

Auf einen Blick

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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Am 18. Dezember liess der russische Präsident Wladimir Putin (72) an einem einzigen Tag 2501 Angriffe auf die Wahlheimat von Eva Samoylenko-Niederer (43) fliegen! In der Region Donezk hagelte es Raketen. Doch die gebürtige Wädenswilerin lässt sich davon nicht abschrecken. Am Samstag vor Weihnachten fährt sie mit ihrer jüngsten Tochter im Fernbus von Zürich zurück nach Slowjansk in der umkämpften ostukrainischen Region Donezk. Trotz Lebensgefahr geht es zurück in die Heimat.

«Drei Jahre lang haben wir gekämpft, aber die Welt hat uns nicht gegeben, was wir für einen Sieg gegen Russland gebraucht hätten», sagt die Lehrerin, die in der Ostukraine bis zum Kriegsausbruch gemeinsam mit ihrem ukrainischen Ehemann ein Kinderheim betrieben hat. Als das Heim 2022 von den Russen zerstört wurde, floh sie in den Westen des Landes.

Kürzlich hat sie sich nun eine Auszeit in der Schweiz gegönnt. Doch länger aus der Distanz zuzuschauen, wie ihre Wahlheimat zugrunde gerichtet wird, hält sie nicht aus. «Was mit der Ukraine passiert, ist völlig ungewiss. Ich weiss nicht, ob ich die Blumen jemals werde blühen sehen, die wir vor wenigen Wochen noch in unserem Garten gepflanzt haben.»

Wie lange sie in ihrem Zuhause bleiben kann, weiss Samoylenko-Niederer nicht. Sobald die frontnahe Stadt in Reichweite der russischen Artilleriegeschosse gerät, wird sie ihr geliebtes Zuhause verlassen müssen. «Heute schon schlagen regelmässig Geschosse ein. Aber die Menschen reagieren nicht einmal mehr auf die Explosionen. Der Wahnsinn ist trauriger Alltag geworden», sagt sie.

«An Weihnachten ist der Krieg besonders grausam»

Die Schweizerin schaut dem Krieg in ihrer zweiten Heimat nicht einfach nur zu. Mit ihrem Verein «Segel der Hoffnung» hat sie in der Ukraine ein Netzwerk von inzwischen über 500 Freiwilligen aufgebaut. 52’000 Menschen haben sie in den gut 1000 Kriegstagen schon aus dem Frontgebiet evakuiert, 50’000 Tonnen Hilfsgüter, viele davon Spenden aus der Schweiz, an Bedürftige verteilt und dabei zweieinhalb Millionen Kilometer zurückgelegt.

Gerade jetzt aber wird das Leid für viele ihrer Bekannten in der Ostukraine trotz all dieser Unterstützung schier unerträglich. «Luftangriffssirenen statt ‹Oh Tannenbaum›, Stromausfälle statt Girlanden, dazu für viele Kinder die erste Weihnacht ohne ihre Väter, ihre Brüder – manchmal ihre Mütter. Zur Weihnachtszeit ist der Krieg besonders grausam», sagt die gläubige Christin.

Die Hoffnung, dass die Ukraine den übermächtigen Angreifer militärisch bezwingen kann, hat Eva Samoylenko-Niederer längst aufgegeben. Andererseits: Ein Friedensdeal könnte schlimmstenfalls bedeuten, dass die ganze Region Donezk an Russland fällt – inklusive ihrer Heimatstadt Slowjansk. «Hunderttausende müssten in den Westen des Landes fliehen. Gerade wir russischsprachigen Ostukrainer aber sind da oft ganz und gar nicht willkommen», weiss sie aus eigener Erfahrung.

Gemobbt wegen russischer Sprache

Monatelang hatte sie mit ihren drei Töchtern in der Westukraine gelebt. Mobbing in der Schule, verdächtige Blicke bei jedem russischen Wort, kaum Ressourcen, um den Vertriebenen zu helfen: «Wir haben es irgendwann nicht mehr ausgehalten», sagt Eva Samoylenko-Niederer.

Jetzt aber, angesichts des drohenden Untergangs ihrer Heimat, will sich die Schweiz-Ukrainerin noch einmal aufbäumen. «Wir können die russische Armee nicht stoppen. Aber es gibt für unsere Organisation noch immer täglich Tausende kleine Möglichkeiten, den Leidgeplagten vor Ort zu helfen.» Darum ist sie zurück in den Einflussbereich der Granaten gekehrt. Weihnachten, sagte Eva Samoylenko-Niederer, sei ein guter Moment, um sich das mal wieder vor Augen zu führen. «Ich hoffe, das waren nicht meine letzten in der Ukraine.»

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