Dienstag, zweiter Tag des Fridays-for-Future-Gipfeltreffens. Auf dem Campus Einaudi in Turin wuseln 450 Klimastreik-Aktivistinnen und -Aktivisten aus ganz Europa zwischen Workshopräumen, Mensa und Aula hin und her. Dazwischen: die Westschweizerin Loukina Tille (20). Sie lobt die Organisatoren.
«Sie haben sich wirklich überlegt: Was ist die ‹Journey› der Teilnehmenden? Wie verläuft die Woche für sie oder ihn?», sagt Tille. Als sie selbst vor drei Jahren den ersten Fridays-for-Future-Gipfel in Lausanne mitorganisierte, war sie 17. Und hatte, wie sie selbst sagt, «keine Ahnung».
Die Klimastreikbewegung war damals gerade mal ein knappes Jahr alt. Die Aktivistinnen und Aktivisten brachten wöchentlich Hunderttausende auf die Strasse – und machten sich beim Kampf fürs Klima selbst unheimlichen Druck.
«Dachten damals, Selbstorganisation sei eine gute Idee»
Beim ersten Europa-Treffen in der Schweiz kam es, wie es kommen musste: Schon nach kurzer Zeit lagen die Nerven blank. Die Teenager zofften über ihre Forderungen, radikalen Protest und den Verlauf der Diskussionen. Teilnehmende – darunter auch Greta Thunberg (19) – verliessen das Plenum, Journalisten wurden aus dem Saal geschmissen.
«Wir dachten damals, es wäre besser, wenn wir nur die Grundlinien vorgeben und sich Diskussionsgruppen selbst organisieren können. Aber es ist besser, wenn jemand Neutrales da ist, um Konflikte zu lösen», sagt Tille, die in Zürich Politikwissenschaften studiert, selbstkritisch. «In Turin gibt es jetzt professionelle Moderatoren, das ist super.»
Nach dem sogenannten «Smile»-Gipfel in Lausanne sei für sie klar gewesen, die künftigen Organisatoren unterstützen zu wollen. Schon im Februar 2020 seien sie und ihre drei Mitorganisatoren nach Turin gefahren, um zu besprechen, was man anders machen könne. «Zum Beispiel bei der Diskussionskultur oder wie man Räume organisiert.»
Fridays for Future diskutiert über interne Probleme
Die Atmosphäre auf dem Campus in Turin ist sichtlich heiterer als vor drei Jahren in Lausanne. Die Jugendlichen albern herum, hören sich gegenseitig zu – und reden auch nicht permanent übers Klima. «Ruhig, konstruktiv, rücksichtsvoll», beschreibt eine Teilnehmerin aus Estland das Gipfeltreffen.
Dabei stehen einige heisse Eisen auf der Tagesordnung: Neben Workshops etwa zur umstrittenen Öl-Pipeline Eacop oder dem wissenschaftlichen Austausch diskutieren die Klimastreikenden vor allem ihre internen Probleme. Darunter die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Gruppen, die Dominanz der westlichen Länder, die Beziehung zu den Medien und Organisationsstrukturen.
«Ich habe heute spontan auch eine Session zu Hierarchien und Transparenz moderiert, das hat gut geklappt. Die Teilnehmenden sind wirklich bereit, sich gegenseitig zuzuhören und zu schauen, wo Probleme sind», sagt Tille.
Auch die Luzernerin Ella Frei (15), die das erste Mal am Gipfeltreffen teilnimmt, ist begeistert: «Die Stimmung hier ist richtig gut. Die Organisatorinnen und Organisatoren geben sich viel Mühe, auf alle Bedürfnisse einzugehen.»
Hilfe bei Klimaangst und Überforderung
Dabei helfen auch Ruheoasen und psychische Betreuung. So haben die Veranstaltenden extra einen Ruhe- und Leseraum auf dem Campus eingerichtet. Und im Climate Social Camp, wo die Teilnehmenden schlafen und ihre Freizeit verbringen, gibts einen Helpdesk mit Psychologen, die sich kümmern, wenn eine Teilnehmerin etwa wegen Klimaangst Hilfe braucht – oder einfach, weil ihr gerade alles zu viel wird.
«Es gibt viel mehr Bewusstsein für psychische Herausforderungen während des Treffens, damit so etwas wie in Lausanne nicht mehr passiert. Damals war der Druck viel grösser und wir mussten uns erst finden. Und wir waren auch alle drei Jahre jünger», sagt Cyrill Hermann (18) aus Zürich, der auch selbst bei der Betreuung von Workshops unterstützt.
Die Bewegung ist entspannter geworden, will nicht mehr auf einen umfassenden Konsens setzen – sondern eher auf föderale Strukturen. «In Lausanne waren wir zu ambitioniert, wollten zu viel», sagt Tille. Aber insbesondere, wenn es zu Entscheidungen komme, könnten schnell Konflikte entstehen. Diesmal soll es darum zum Beispiel keine gemeinsame Deklaration geben. Und bei Beschlüssen könne jede Lokalgruppe hinterher selbst entscheiden, ob sie sie annehme.
Sie habe persönlich viel gelernt, sagt Tille. Damals noch 17 Jahre alt fühle sie sich jetzt «fast wie die Grossmutter». Für sie ist klar: «So was wie in Lausanne passiert uns nie mehr.» Dafür sei auch der Austausch extrem wichtig.