Am Telefon klingt Guillaume Briquet überraschend ruhig. Doch seine Aussage lässt keine Zweifel zu. «Ich bin extrem wütend», sagt er im Interview mit Blick. Briquet ruft direkt aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine an, wo am Wochenende auf ihn geschossen wurde.
Der Fotograf, der bereits diverse Male in Kriegsgebieten unterwegs war, wird am Wochenende in der Hafenstadt Mykolajiw zur Zielscheibe eines bewaffneten russischen Angriffs. Sein Reisepass, seine Foto-Ausrüstung und 3000 Euro werden ihm bei der Attacke gestohlen – und das, obwohl sein Auto klar als Presse-Auto gekennzeichnet war.
«Ohne Vorwarnung geschossen»
«Ich bin mir Konfliktgebiete gewöhnt und es wurde schon öfter auf mich geschossen. Aber von offiziellen Soldaten …», wundert sich Briquet im Gespräch. Auf seinem Armaturenbrett lag eine Schweizer Flagge, das Auto ist zudem klar mit «Presse» angeschrieben.
Briquet schildert den Horror-Angriff: «Sie haben ohne Vorwarnung von der Strassenseite aus geschossen.» Zwei Schüsse seien in Richtung seines Kopfes gegangen. «Die Soldaten wollten mich töten», sagt er. Die Kugeln seien «kreuz und quer durch das Fahrzeug» geflogen.
Er habe sofort angehalten, erzählt Briquet. Kurze Zeit später seien etwa zehn Männer in nicht-gekennzeichneten Uniformen bei seinem Auto aufgetaucht. Die Uniformen hätten ihn an jene der russischen Spezialeinheit Speznas erinnert.
Briquet steigt aus, um Unklarheiten zu vermeiden und mit den Soldaten besser kommunizieren zu können. Er schreit «Journalist!» und fragt dann, auf welcher Seite die Soldaten stehen. Die Antwort: «Ruskii!» – «Russisch!»
Bei der Kamera wehrt er sich
Die Soldaten räumen zuerst Briquets Auto aus, bedienen sich dann bei seinem Essvorrat und stecken sein Geld ein. Der Fotograf wird am Telefon wütend: «Ich wurde von russischen Gaunern überfallen, unfassbar!»
Als ihm die Soldaten seine Kamera wegnehmen wollen, wehrt sich Briquet. «Ich habe ihnen gesagt, wenn sie mir meine Kamera wegnehmen, können sie mich gleich töten. Ich gehe nicht ohne meine Kamera.»
Zu seinem Erstaunen geben die Soldaten ihm schliesslich seinen Fotoapparat zurück. Auch seine Handys kriegt er wieder ausgehändigt. Seinen Computer und die externen Festplatten nehmen die Soldaten hingegen mit.
Briquet bleibt, um zu arbeiten
Nach dem Angriff wird Briquet in einem ukrainischen Spital versorgt. Er hat Glück im Unglück, kommt mit leichten Verletzungen davon: Einige Glassplitter stecken in seinem Arm, mittlerweile wurden sie ihm entfernt.
Der Fotograf ist froh, dass er noch lebt. «In solchen Momenten funktioniert man mit Instinkt und Adrenalin. Offensichtlich habe ich nicht allzu schlecht reagiert», meint er.
Trotz des Angriffs bleibt Briquet auch weiterhin in der Ukraine. Er wolle weiter arbeiten, sobald er wieder einen Computer bedienen könne. Eine Flucht sei derzeit sowieso sinnlos. «Die Staus an den Grenzen erstrecken sich über Hunderte Kilometer. Wenn man also zwei oder drei Tage im Stau steht, kann man auch bleiben und arbeiten.»
Seine einzige Angst ist ein russischer Angriff auf seinen derzeitigen Aufenthaltsort. Am Montagmorgen fliegen Mig-Kampfjets über das Gebiet.