Der EU-Chefunterhändler und Kommissions-Vize Maros Sefcovic (55) schlägt dramatische Töne an: «Das Verhältnis der EU mit der Schweiz droht zu zerfallen, wenn die bilateralen Verträge nach und nach auslaufen und nicht erneuert werden.» Das sagt er in einem Interview mit dem «Spiegel», in dem es in erster Linie um den Brexit geht.
Der «Spiegel»-Autor spricht über die Schweiz von einem «weiteren schwierigen Partner» der EU und macht die Schweiz auch für das Platzen des Rahmenvertrags verantwortlich. Auf die Frage, wie lange die Geduld mit Bern noch halte, antwortet Sefcovic: «Wir müssen von der Schweiz dringend wissen, ob sie ernsthaft mit uns verhandeln will – so wie wir es sieben Jahre lang getan haben. Die Schweizer Regierung ist jetzt am Zug.»
Der Slowake Sefcovic verweist auf die bilateralen Verträge, welche die Schweiz brauche, um etwa Medizinprodukte in die EU zu verkaufen. «Es gibt viele andere Beispiele dieser Art. Aber vor den Einzelfragen müssen wir erst einmal die Grundlagen klären.»
EU will regelmässige Zahlungen
Zu den Grundlagen zählt er, dass sich die Schweiz an die Regeln des EU-Binnenmarkts halte, wenn sie da handeln wolle. Sefcovic: «Das heisst, sie muss ihre Normen dynamisch an den Binnenmarkt anpassen – so wie es alle anderen Mitglieder des Binnenmarkts übrigens auch tun.»
Zweitens gebe es starke Schweizer Unternehmen, die auf dem gesamten Binnenmarkt operierten und in ihrer Heimat Steuererleichterungen bekämen. «Auch hier müssen wir gleiche Wettbewerbsbedingungen haben.»
Drittens will Sefcovic mehr Geld. «Ein regelmässiger Rhythmus der Schweizer Beiträge zum EU-Haushalt wäre gut. Die letzte Überweisung aus Bern datiert von 2012.» Und viertens, laut Sefcovic «ganz wichtig», brauche es einen «Streitschlichtungsmechanismus».
Der EU-Kommissions-Vize fordert einen klaren Zeitplan. «Wir müssen wissen, wann wir worüber reden wollen – damit klar ist, dass die Diskussion nicht noch 20 oder 30 Jahre dauert.»
Das sind die Konsequenzen
Mit welchen Massnahmen müsste die Schweiz rechnen, wenn es keinen Vertrag geben würde? «Schweizer Forschungseinrichtungen und Unternehmen können auch weiterhin an unserem EU-Forschungsprogramm teilnehmen, aber sie bekommen momentan keine EU-Fördergelder. Und mit der Zeit würden automatisch immer mehr bilaterale Verträge auslaufen und unsere Beziehung irgendwann obsolet machen», sagt Sefcovic.
Das wäre weder für die Schweiz noch für uns gut, meint er. «Deshalb hoffen wir auch hier, dass wir gemeinsam eine Lösung finden können.»
Es ist nicht das erste Mal, dass ein EU-Vertreter so deutlich die Schweiz kritisiert. Schon der ehemalige EU-Botschafter Michael Matthiessen (65), der die EU in Bern vertrat, sagte 2019: «Wer nicht am Tisch sitzt, kommt auf die Speisekarte!» Mit andern Worten: Macht ihr nicht mit, werdet ihr gefressen. (gf)