Russlands brutale Chef-Entführerin
Kein ukrainisches Kind ist vor Putins Engel sicher

Maria Lwowa-Belowa hat selbst zehn Kinder. Im Auftrag Russlands entführt sie jede Woche Hunderte unschuldige Babys und Teenager in Putins Reich – mit fadenscheinigen Ausreden. In dieser Woche war die Ex-Musiklehrerin besonders aktiv.
Publiziert: 09.09.2023 um 18:30 Uhr
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Maria Lwowa-Belowa (38) ist Putins Kinderrechtsbeauftragte.
Foto: AFP
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Stellen Sie sich vor, Ihr Kind fährt ins Sommerlager, voller Vorfreude auf eine abenteuerliche Woche, und kommt dann nie mehr zurück. Stattdessen wird es festgehalten und einer Gehirnwäsche unterzogen. Die Eltern wollten es nicht mehr sehen, bläut man Ihrem Kind ein. Die Heimat sei von Nazis überfallen worden. Eine Rückkehr sei gefährlich. Deshalb müssten alle Kinder hierbleiben. Zum Schutz würden sie ein neues Zuhause in einer neuen Familie erhalten – und einen neuen Pass.

Ein Horrorszenario – und für Tausende ukrainische Familien traurige Realität. 19'553 Kinder sind laut der ukrainischen Regierung seit Kriegsausbruch von Russland entführt worden. Mindestens 6000 von ihnen werden in 43 verschiedenen Umerziehungslagern einem antiukrainischen Propaganda-Programm unterzogen. Russische Familien haben 1184 Entführungsopfer adoptiert.

Die Entführungsmethoden sind so vielfältig wie perfid. Manche Kinder werden von prorussischen Lehrpersonen in «Erholungslager» auf der Krim geschickt. Andere werden bei Filtrationsprozessen, mit denen die russischen Besatzer in den eroberten Gebieten nach Kollaborateuren suchen, von ihren Eltern getrennt. Andere wiederum werden von russischen Soldaten direkt aus dem Frontgebiet entführt.

Ukraine spricht von Genozid

Die systematische Kindesentführung diene dem russischen Ziel, die Ukraine mitsamt ihrer Kultur und ihrer Identität dem Erdboden gleichzumachen, schreibt die amerikanische Anti-Terror-Behörde Global Engagement Center in einem neuen Untersuchungsbericht. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) spricht von einer «genozidalen Taktik». Mykola Kuleba, Chef der Organisation Save Ukraine, die Entführungsopfer in die Ukraine zurückzuholen versucht, sagt: «Russland stiehlt unsere Kinder und verwandelt sie in Waffen gegen uns.»

SonntagsBlick wollte mit betroffenen Familien sprechen. Doch die Angst der Eltern und Geschwister von entführten Kindern ist riesig. Man klammert sich an die Hoffnung, dass die gestohlenen Töchter und Söhne vielleicht irgendwann doch noch zurückkommen, und will die Entführer keinesfalls verärgern.

Diese jedoch machen keinen Hehl aus ihren Kriegsverbrechen. Er freue sich, dass «eine wachsende Zahl unserer Bürgerinnen und Bürger ukrainische Kinder adoptieren will», sagte der russische Präsident Wladimir Putin (70) im Februar. Sein Propaganda-Apparat stellt die Entführungen als Hilfsaktion für zurückgelassene Kriegswaisen und vernachlässigte Teenager dar.

Profisportler leiden wegen Entführungen

Davon liess sich der Internationale Strafgerichtshof nicht blenden. Er hat im März einen Haftbefehl gegen Putin erlassen, mit explizitem Verweis auf die systematische Kindesentführung. Und auch die Weltpolitik ist aufgewacht. Der französische Präsident Emmanuel Macron (45) hat diese Woche mit Blick auf die Olympischen Spiele in Paris 2024 gesagt, ein Land, das Kinder entführe, habe an dem Wettbewerb nichts verloren.

Putins Hauptwaffe im Kampf um die Kinder heisst Maria Lwowa-Belowa (38). Die einstige Gitarrenlehrerin und heutige Kinderrechtsbeauftragte Russlands reiste seit Kriegsbeginn schon neunmal in die besetzten ukrainischen Gebiete. Mit im Gepäck hat sie jeweils haufenweise Spielsachen und Fotografen, die die Mutter von zehn Kindern (fünf davon adoptiert) ablichten, wie sie lächelnd und tröstend vermeintlich gerettete Jungen und Mädchen umarmt.

Lwowa-Belowa gibt dem Schrecken einen freundlichen Anstrich und schüttet die Abgründe des russischen Entführungsterrors mit Charme und geheuchelter Mutterliebe zu. Man werde neue Bildungs- und Informationsprogramme entwickeln müssen, um «die Kinder der Ukraine umerziehen zu können», sagte Lwowa-Belowa kurz vor dem Start des neuen Schuljahres am 1. September.

Der traurige Fall des 15-jährigen Filipp Golownya

Auf ihrem Telegram-Kanal erzählt die 38-Jährige freimütig über die «kleine Anya», die man «aus medizinischen Gründen» aus der ukrainischen Stadt Izjum nach Moskau gebracht hat. Über die mutmasslichen Waisen Ilya und Sonya aus Donezk, die man zur Erholung in die russische Hauptstadt geflogen habe. Oder über die Geschwister Alla (8) und Semyon (9), die man aus einem Keller in Kupjansk gerettet habe. Entführungsgeschichten getarnt als humanitäre Befreiungsaktionen, vorgetragen von einer dauerlächelnden zehnfachen Mutter. 

Jüngst hat Lwowa-Belowa selbst einen entführten Teenager aus dem Donbass adoptiert: den 15-jährigen Filipp Golownya, den russische Soldaten laut ukrainischen Angaben im April 2022 in Mariupol auf offener Strasse entführt und via ein Donezker Krankenhaus nach Moskau verfrachtet haben. Sie liebe ihn sehr, säuselte Lwowa-Belowa bei einem Treffen mit Putin.

Filipp wird ab diesem Jahr, genau wie Millionen andere Oberstufenschüler in Russland, das obligatorische Fach «Militärische Erstausbildung» besuchen und im neu aufgelegten Geschichtslehrbuch über die böse Nazi-Regierung in Kiew lesen müssen. In der Ukraine wird er nie mehr integrierbar sein – ganz egal, wie der Krieg auf den Schlachtfeldern seiner Heimat ausgeht.

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