Schon seit Wochen verteidigt sich die Ukraine gegen die russische Invasion – ein Ende ist nicht in Sicht. Trotzdem hat es in den vergangenen Tagen auf russischer Seite einige Strategieänderungen gegeben.
So befahl Putin den Abzug seiner Truppen aus der Hauptstadtregion um Kiew und verlegte sie in den Osten der Ukraine, um dort die Kämpfe zu intensivieren.
Truppenabzug wird kritisch beäugt
Ob dieser Schachzug an der aktuellen Lage Russlands aber etwas ändern kann, wird unterschiedlich beurteilt. Das Institute for the Study of War beispielsweise ist skeptisch. Denn der Aufbau neuer kampfkräftiger Verbände könne durchaus mehrere Wochen in Anspruch nehmen, wie «Focus» berichtet.
Das wäre wertvolle Zeit, die den Russen so verloren ginge, um im Krieg wieder die Oberhand zu gewinnen.
Um das zu umgehen, könnten die Russen deshalb eine Okkupation der Ukraine in mehrere Abschnitte unterteilen. Das würde bedeuten, dass sich Russland voll und ganz auf den Osten konzentriert. Dazu könnten auch Truppen herbeigezogen werden, die momentan noch in Transnistrien stationiert sind.
Diese etwa 1500 Soldaten befinden sich unweit der ukrainischen Stadt Odessa im Süden der Ukraine und könnten so dazu beitragen, die ukrainischen Soldaten einzukesseln. Die restlichen russischen Truppen würden dann aus Norden und Süden kommend in den Osten der Ukraine vorstossen.
Würde eine solche Einnahme gelingen, käme das für Putin einem grossen Propaganda-Sieg gleich.
Bis am 9. Mai braucht Putin dringend einen Propaganda-Sieg
Dann könnte der Kremlchef am 9. Mai, dem Gedenktag des Sieges im Zweiten Weltkrieges, einen ersten Erfolg verkünden, nämlich die «Befreiung» der russischsprachigen Bevölkerung im Osten der Ukraine und die «Denazifizierung» dieser Gebiete.
So einfach, wie das auf dem Papier klingt, ist der Plan aber bei weitem nicht. Denn Russland wird die Ukraine nicht in einer Entscheidungsschlacht ein für alle Mal besiegen können. Sollte es den Russen gelingen, den Osten der Ukraine einzunehmen, müssten sie sich auf erheblichen Widerstand gefasst machen.
Denn in einem Guerillakrieg könnten ukrainische Soldaten den Russen immer noch erheblichen Schaden zufügen, um diese zum Abzug zu zwingen.
Gebiete müssten zuerst gehalten und politisch geordnet werden
Es zeigt das Dilemma, in dem die russische Armee steckt. Es reicht nicht, einfach nur Gebiete einzunehmen. Um einen Aufstand zu vermeiden, müssen diese auch gehalten und politisch geordnet werden. Das würde für die Russen zur Herkules-Aufgabe.
Schätzungen zufolge müsste die russische Armee allein für die Sicherung der östlichen Gebiete 250'000 Soldaten einsetzen. Für die Haltung der ganzen Ukraine beträgt die Zahl ein Vielfaches. 700'000 Mann müssten die Russen dann auftreiben.
Das Problem dabei: So viele Soldaten hat Russland gar nicht. Russland verfügt insgesamt über etwa 850'000 aktive Soldaten. Diese scheinen bereits jetzt mächtig unter Druck. Es ist deshalb fraglich, ob sie im Stande wären, ein so grosses Land wie die Ukraine kontrollieren zu können.
Und ohne die Sympathie der ukrainischen Bevölkerung und verlässliches Personal im Land dürfte diese Aufgabe kaum zu meistern sein.
Putin hat sich verzockt
Es stellt sich deshalb die Frage: Was will Russland in diesem Krieg noch erreichen? Putins ursprünglicher Plan war es – nach Ansicht von Beobachtern – Europa zu destabilisieren und den Westen zu spalten. Das scheint ihm nach bisherigen Erkenntnissen nicht gelungen zu sein.
Denn auf der Weltbühne ist Putin ein Paria und der Westen so geeint wie lange nicht mehr. Für Putin wird es also darum gehen, seinem Volk die Lage im Ukraine-Krieg als Sieg zu verkaufen. Ob ihm das gelingt, wird sich zeigen. (ced)