Eigentlich hatte Wladimir Putin (69) mit einem Blitzsieg gerechnet. Kein Wunder: Die Übermacht der russischen Armee ist erschreckend. 900'000 Russen gegen 209’000 ukrainische Soldaten. Dazu über 3000 Panzer, 1300 Kampfflugzeuge und fast 6000 Artilleriegeschütze. Dennoch: Die Ukraine leistet Widerstand – und wie. Die Russen kommen kaum vorwärts. Besonders die grossen Städte wie Kiew sind hart umkämpft.
Vor allem Putins Panzer haben ihre Mühe in der Ukraine. Schon jetzt wurden Hunderte zerstört. Laut der Ukraine sollen es 680 Panzer sein.
Oryx, ein Militär- und Geheimdienstblog, der die militärischen Verluste Russlands in der Ukraine zählt, kommt dagegen auf 460 Panzer. Die genaue Zahl lässt sich wohl nur schwer ermitteln. Aber Fakt ist: Die Panzer werden abgeschossen – und nicht gerade selten. Aber wieso haben die Ukrainer offenbar leichtes Spiel mit den eigentlich gefährlichen Zerstörern?
Spezielle Rakete mit zwei Sprengköpfen
Ein Grund dürfte sein, dass die Ukraine dank Lieferungen aus dem Westen über besondere Panzerabwehrraketen verfügt. Allen voran die von den USA gelieferten Javelin-Raketen. Diese können so abgefeuert werden, dass die Rakete auf der Oberseite eines Panzers explodiert, wo die Panzerung am schwächsten ist.
Zwar sind die russischen Panzer mit einer reaktiven Panzerung ausgestattet, die den Aufprall von Raketen abfangen kann, gegen die US-Raketen sind sie dennoch machtlos. Denn: Die Javelins sind mit zwei Sprengköpfen ausgestattet. Einer sprengt die reaktive Panzerung weg, der zweite durchschlägt das Fahrgestell darunter. 4000 solcher Raketen haben die USA bereits der Ukraine geliefert.
Nebst diesen wurden auch 100 Switchblade-Panzerabwehrdrohnen geliefert. Bei diesen handelt es sich um Kamikaze-Drohnen, die sich auf einen Panzer stürzen und ihn mit dem Sprengkopf an ihrer Spitze zerstören.
«Russland kann nur auf relativ wenige Truppen zurückgreifen»
Auch Grossbritannien hat grosszügig Raketen ins Kriegsgebiet geschickt. Konkret: 3600 NLAW-Raketen. Wie die Javelins, sind auch diese so konzipiert, dass sie explodieren, wenn sie die relativ ungeschützte Turmoberseite der Panzer überfliegen. «Ohne diese tödliche Hilfe sähe die Lage in der Ukraine ganz anders aus», sagt Nick Reynolds, Forschungsanalyst für Landkriegsführung am Royal Service Institute, zu BBC.
Während die Ukraine mit speziellen Raketen ausgestattet ist, spielt auch die russische Kriegstaktik eine wichtige Rolle. Denn die rächt sich. Mit der Folge: Die Panzer werden nach und nach abgeschossen. Putins Armee operiert mit taktischen Bataillonstruppen, also geschlossenen Kampfeinheiten, die aus Panzern, Infanterie und Artillerie bestehen. Dabei kommen viele gepanzerte Fahrzeuge zum Einsatz, dafür aber relativ wenige Infanterietruppen.
«Russland kann nur auf relativ wenige Truppen zurückgreifen», sagt Philipps O'Brien, Professor für strategische Studien an der St. Andrews Universität, zu BBC. «Deshalb verfügen die Russen nur über sehr wenig Schutz in Form von Infanteriepersonal, das zurückschlagen kann, wenn die Panzerkolonne angegriffen wird. Das macht die russische Armee zu einem Boxer, der einen guten rechten Haken und einen gläsernen Kiefer hat», fasst O'Brien die Situation zusammen.
Fehlende russische Lufthoheit spielt der Ukraine in die Hände
Ein weiterer Punkt, der es den ukrainischen Truppen leicht macht, russische Panzer zu zerstören, ist das Fehlen einer russischen Luftpatrouille. So können die ukrainischen Soldaten russische Panzerkolonnen aus dem Hinterhalt anzugreifen, ohne zu befürchten, davor entdeckt und beschossen zu werden.
«Russland hat zu Beginn des Krieges keine Lufthoheit erlangt. Deshalb können sie nicht am Himmel patrouillieren und die Bewegungen der ukrainischen Armee beobachten», so Strategie-Experte O'Brien weiter.
Die militärischen Verluste Russlands seien aber nicht nur den Angriffen der ukrainischen Truppen geschuldet. Experten, darunter auch O'Brien und Reynolds, führen diese auf logistisches Versagen und die Inkompetenz der russischen Truppen zurück. «Einige dieser Panzer wurden aufgegeben, weil ihnen der Treibstoff ausgegangen war. Andere blieben im Schlamm stecken, weil das Oberkommando zur falschen Jahreszeit einmarschierte», so O'Brien. Denn mit dem Frühling kommt das Tauwetter und macht die unbefestigten Strassen und Böden unbefahrbar. Weite Teile der Ukraine werden in Matschlandschaften verwandelt.
Auch die auf dem Tiefpunkt stehende Motivation der Russen spielt den Ukrainern in die Hände. «Russlands Bodentruppen bestehen aus einer Vielzahl von Wehrpflichtigen und Rekruten. Das macht sie im internationalen Vergleich zu einer Kampftruppe von geringer bis mittlerer Qualität», so Reynolds. Oft hätten die Soldaten ihre Fahrzeuge einfach stehen gelassen und seien geflohen. (ced)