Darum gehts
- Russland erobert Gebiete in Kursk zurück, Putin besucht Truppen
- USA-Militärhilfestopp begünstigte russische Taktik und Gebietsgewinne
- Kreml konnte hohe Verluste kompensieren, Ukraine ohne US-Sicherheitsgarantien
Russland meldet, in der westrussischen Region Kursk mehrere Gebiete zurückerobert zu haben. Kreml-Chef Wladimir Putin (72) zeigte sich am späten Mittwochabend erstmals seit Kriegsbeginn wieder in einer Militäruniform und besuchte seine Truppen an der Front. Experten und Expertinnen vermuten, dass Putin Stärke zeigen wollte angesichts des wachsenden internationalen Drucks bezüglich einer Waffenruhe.
Das ukrainische Verteidigungsministerium hat sich derweil noch nicht zu den angeblichen Gebietsverlusten geäussert. Was klar ist: Die Lage um Kursk bleibt für die ukrainischen Streitkräfte schwierig. Zwar gab der Oberbefehlshaber der Armee, Alexander Sirski, vor ein paar Tagen bekannt, die Truppen vor Ort verstärken zu wollen, er schien jedoch auch einen Rückzug ukrainischer Soldaten einzuräumen. Sirski erklärte, dass seine Einheiten «angebrachte Massnahmen ergreifen, um günstige Verteidigungslinien einzunehmen». Diese Formulierung wird von beiden Konfliktparteien für einen Rückzug verwendet.
Abschaltung der US-Hilfen spielte Putin in die Karten
Aussenpolitikexperte Klemens Fischer (61) von der Universität Köln glaubt, dass Putin vor allem die eingestellte US-Militärhilfe für die Ukraine entscheidend in die Karten gespielt hat. «Er hat das Zeitfenster für die Russen taktisch und operativ nahezu optimal ausgenutzt.»
Nachdem die USA den Ukrainern keinen Zugang mehr zu Geheimdienstinformationen geliefert hatten, reagierte der Kreml entsprechend. «Sie sahen von Grossangriffen ab», so Fischer. «Stattdessen setzte Russland auf Nadelstiche und konzentrierte Truppen erst dann an einem Abschnitt, wenn mittels frontnaher Drohnenüberwachung Lücken festgestellt wurden.»
Strategisch sei die Ukraine spätestens seit der Kursk-Offensive ins Hintertreffen geraten. Kleinere taktische Erfolge hätten nichts gebracht, da sie nur sehr begrenzt und nicht nachhaltig gewesen seien, sagt der Experte. Durch das Ausbleiben der US-Hilfen und der Aufklärung erfuhr Kiew einen entscheidenden strategischen Nachteil, denn Informationen über russische Truppenbewegungen fielen plötzlich weg.
Ukraine in prekärer Lage
Laut Fischer konnte der Kreml die grossen Verluste von Mensch und Material bisher kompensieren. «Auch politisch liegt das Momentum bei Russland, da die Ukraine von den USA bislang keine Sicherheitsgarantien bekommen hat und die Europäer sich keineswegs geschlossen für eine robuste Garantie aussprechen konnten.»
Der Experte befürchtet: «Sollte Russland die Waffenruhe durch politische Manöver bei den Verhandlungen ausreichend verzögern und die gesamte Kursk-Region zurückerobern können, hat die Ukraine keinen validen Hebel mehr in der Hand.»