Russischer Ex-Aussenminister
«Sorgen Sie sich nicht um Putin, sondern lieber um Europa»

Der Krieg in der Ukraine dauert schon mehr als einen Monat an. Für den ehemaligen Aussenminister Andrei Kosyrew ist klar, dass der Westen jetzt Stärke zeigen muss, sonst wird Putin weitere Länder angreifen. Zum Beispiel Polen.
Publiziert: 14.04.2022 um 23:14 Uhr
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Aktualisiert: 15.04.2022 um 10:40 Uhr
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Fordert vom Westen jetzt Stärke: der ehemalige russische Aussenminister Andrei Kosyrew.
Foto: imago images/ZUMA Wire

Der russische Präsident Wladimir Putin (69) plant offenbar eine grosse Oster-Offensive im Osten der Ukraine. Ein entsprechender Mega-Konvoi ist bereits unterwegs. Der Kreml-Chef ist weiterhin fest entschlossen, die Ukraine zu erobern. Um jeden Preis.

Die Gräueltaten der russischen Armee, wie das Massaker in Butscha, haben weltweit für Entsetzen gesorgt. US-Präsident Joe Biden (79) sprach das erste Mal von Völkermord. «Es wird immer klarer, dass Putin versucht, die blosse Vorstellung auszulöschen, ein Ukrainer sein zu können.»

Wie brutal Putins Truppen in der Ukraine wüten, hat sogar Andrei Kosyrew (70) überrascht. Er war von 1990 bis 1996 russischer Aussenminister unter Präsident Boris Jelzin (1931-2007). «Ich wusste, dass die Leute, die jetzt in Moskau sitzen, sehr aggressiv und repressiv sind, aber diese Skrupellosigkeit hat mich doch überrascht», sagt er zur «Welt».

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«Absolute Kontrolle über die Propaganda-Maschinerie»

Genau deswegen müsse jetzt der Westen Stärke zeigen. Eine schwache Reaktion auf solche Gräueltaten würden den Kreml-Chef nur noch mehr ermutigen. Schliesslich habe er ja keine Konsequenzen zu befürchten.

Dass viele Russen zu Putin halten, und das trotz solcher Gräueltaten wie in Butscha, verwundert den Ex-Aussenminister nicht. Der Kreml-Chef «hat die absolute Kontrolle über die Propaganda-Maschinerie in Russland und kann in einer Sekunde eine völlig andere Geschichte erzählen. Das russische Volk, vor allem die Menschen, die sich nur über das Fernsehen informieren, haben keine Ahnung, was tatsächlich in der Ukraine passiert.»

Mega-Waffenlieferung für die Ukraine

Eine nukleare Eskalation fürchtet Kosyrew nicht. «Das Risiko, dass so etwas passiert, wäre dann grösser, wenn Putin glaubt, der Westen und die Nato hätten vor den Raketen mehr Angst als er selbst. Meiner Ansicht nach sollte die Antwort auf die Aggression jetzt sehr stark sein.»

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Das bedeutet konkret: Jede Menge Waffen, die der Westen der Ukraine zur Verfügung stellt. Genau, das wurde gerade erst bekannt gegeben. Die USA und die EU haben eine grosse Waffenlieferung zugesichert. Im Wert von umgerechnet über einer Milliarde Franken. Darunter Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und Hubschrauber.

Putin darf nicht mit diesem barbarischen Krieg durchkommen

Für den Ex-Aussenminister ist klar: Putin muss in seine Schranken gewiesen werden. Schon bei der Krim-Annexion sei man zu lasch gewesen. «Wenn er jetzt, mit diesem barbarischen Krieg, wieder durchkommt und die Sanktionen schnell aufgehoben würden, dann wäre die nächste Station ein Nato-Land, eines der baltischen Länder oder vielleicht Polen. Jetzt sollte man sich eher Gedanken darüber machen, ob der Westen seine Lektion gelernt hat.»

Der Westen habe zu lange versucht, Putin zu beschwichtigen. Gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Der Appell von Kosyrew lautet: «Sorgen Sie sich nicht um Putin, sondern lieber um Europa.»

Denn in den Augen des Kreml-Chefs habe der Kalte Krieg nie geendet. Die Fronten sind klar: der Westen gegen den Osten. Darum versucht der russische Präsident auch Schweden und Finnland davon abzuhalten, der Nato beizutreten. Bislang arbeiten die Länder zwar mit dem Verteidigungsbündnis eng zusammen, sind aber keine Mitglieder. Und damit das auch gar nicht so weit kommt, gab es schon erste Drohungen aus Moskau.

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«Diese Grenzen müssten verteidigt werden»

Bei einem möglichen Nato-Beitritt von Finnland oder Schweden erwägt Russland eine Aufstockung seines militärischen Arsenals, einschliesslich Atomwaffen, in der Nähe der Grenzen zu den skandinavischen Ländern. Im Falle eines Beitritts würden sich «die Grenzen des Bündnisses mit Russland mehr als verdoppeln», erklärte der russische Ex-Präsident und die derzeitige Nummer zwei des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew (56), im Messenger-Dienst Telegram am Donnerstag. «Und diese Grenzen müssten verteidigt werden.»

Er verwies auf die Verlegung von Infanterie und Luftabwehrsystemen in den Nordwesten Russlands sowie auf die Verlegung von Seestreitkräften in den Finnischen Meerbusen, der Teil der Ostsee ist. Mit Blick auf die finnische und schwedische Bevölkerung betonte er, dass «niemand, der bei klarem Verstand ist, eine Zunahme der Spannungen an seiner Grenze wünschen und neben seinem Haus Iskander-, Hyperschall-Raketen und Schiffe mit Atomwaffen haben möchte».

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (54) äusserte ebenfalls, dass «darüber schon oft gesprochen wurde» und dass Präsident Wladimir Putin angesichts des wachsenden militärischen Potenzials der Nato einen Befehl zur «Verstärkung unserer westlichen Flanke» erteilt habe. Auf die Frage, ob diese Verstärkung auch Atomwaffen umfassen würde, sagte Peskow: «Das kann ich nicht sagen. Es wird eine ganze Liste von Massnahmen und notwendigen Schritten geben. Darüber wird der Präsident in einer separaten Sitzung sprechen.» (jmh/AFP)


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