Russischer Elite-Soldat erklärt
Darum kann Putin keine General-Mobilmachung verkünden

Der Fallschirmjäger Pavel Filatjew kämpfte in der Ukraine. Doch dann desertierte er und berichtet seitdem über die Zustände in Putins Armee. Nun liefert er weitere Details über das russische Militär und erklärt, warum Putin keine Mobilmachung verkünden wird.
Publiziert: 24.08.2022 um 15:06 Uhr
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Aktualisiert: 26.08.2022 um 13:28 Uhr
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Filatjew kämpfte fast zwei Monate an der Front.
Foto: Pavel Filatjew

Pavel Filatjew (33) sorgte mit seinem Tagebuch für Furore. Der russische Elitesoldat kämpfte in der Ukraine und desertierte schliesslich. Was er in Wladimir Putins (69) Armee und im Krieg erlebte, schilderte er eindrücklich in seinen Aufzeichnungen.

Die Ausrüstung sei veraltet, die Fahrzeuge marode und die Moral der Soldaten am Boden. «Die meisten Soldaten sind unzufrieden mit dem, was passiert. Sie sind unzufrieden mit der Regierung und ihren Kommandanten. Sie sind unzufrieden mit Putin und seiner Politik. Sie sind unzufrieden mit dem Verteidigungsminister, der nie in der Armee gedient hat.»

Selbst sein eigenes Gewehr sei verrostet gewesen. Im Interview mit der «Welt» teilt der Elitesoldat nun weitere Einblicke, wie schlimm es um Putins Armee steht und dass zu Beginn der Widerstand der Ukraine sehr gering war. Doch das hätten die Russen nicht nutzen können. Die Offensive sei eine reine Schlamperei gewesen. «Vielen Kameraden fehlte es an Munition, Schutzwesten, Helmen und Schlafsäcken. Unsere Spezialfahrzeuge waren Jahrzehnte alt», sagt Filatjew zur «Welt». Das Ergebnis jahrelanger Korruption und Diebstahl im russischen Militär.

«Wir haben kein Recht, im Krieg zu kneifen»

Und er berichtet von einem Moment im Krieg, als seine Einheit in der Stadt Cherson feststeckte. «Wir standen wie auf einer Schiessbude in einem riesigen Feld. Und es war klar, dass der Feind jeden Moment wissen würde, dass wir hier waren. Keiner der Befehlshaber konnte die Entscheidung treffen, die Ausrüstung zu verteilen, Wachen aufzustellen oder die Ausrüstung zurückzulassen.» Fünf oder sechs Stunden hätten die Soldaten da einfach wie auf dem Präsentierteller gestanden.

Trotz alledem habe er nicht daran gedacht, das Militär zu verlassen – zumindest in den ersten Wochen nicht. «Obwohl für mich und viele Kameraden früh feststand, dass uns dieser Krieg überhaupt nicht gefiel. Und zwar nicht in dem Sinne, dass wir Angst hatten. Nein, wir hatten die Ziele dieses Krieges nicht vor Augen.» Keiner verstand, wen sie da eigentlich befreien sollen. Und: «Es wäre eine Schande, von einem Schlachtfeld wegzulaufen. Wir haben kein Recht, im Krieg zu kneifen.»

Doch dann wurde Filatjew am Auge verletzt und der Elitesoldat sah seine Chance gekommen, den Dienst zu quittieren. Aber so einfach der Front den Rücken kehren, konnte er dann auch wieder nicht. «Aus gesundheitlichen Gründen hatte ich laut Gesetz das Recht, meine Stelle aufzugeben. Der Vorgang war sehr lang und mühsam.» Es dauerte Monate. Und schliesslich haute er einfach ab.

Nicht genug Waffen für alle

Dass Putin tatsächlich eine grosse Mobilmachung verkünden wird, hält Filatjew für sehr unwahrscheinlich. «Weil unsere Regierung es versäumt hat, eine Armee so professionell zu organisieren, dass sie mit Logistik, Munition und Lebensmitteln versorgt ist. Eine Generalmobilmachung ist unwahrscheinlich, weil die Regierung nicht in der Lage ist, Waffen an die Bevölkerung zu verteilen. Es würde mich auch wundern, wenn es genug Waffen für alle gäbe.»

Hinzukäme, dass gerade viele Russen unzufrieden seien mit der Regierung. In dieser angespannten Situation würde Putin wohl kaum Waffen aushändigen. Auch das britische Verteidigungsministerium ist davon überzeugt, dass der Krieg dem Kreml-Chef und seiner Regierung deutlich geschadet hat. Russlands diplomatische Macht sei gesunken und die langfristigen wirtschaftlichen Aussichten seien düster.

«Die Donbass-Offensive macht minimale Fortschritte, und Russland erwartet einen schweren ukrainischen Gegenangriff», hiess es weiter. Das britische Fazit: «Nach sechs Monaten hat sich Russlands Krieg als kostspielig und strategisch schädlich erwiesen.»

Russland spricht von gezielter Desinformation

Das Ministerium betonte, der russischen Führung sei seit April bewusst, dass die Ziele, die ukrainische Regierung zu stürzen und grosse Teile des Landes zu besetzen, gescheitert seien. Seitdem verfolge Moskau bescheidenere Pläne in der Ost- und Südukraine.

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Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine Ende Februar unter Berufung auf Geheimdienstinformationen täglich in beispielloser Form Informationen zum Kriegsverlauf. Damit will die britische Regierung sowohl der russischen Darstellung entgegentreten als auch Verbündete bei der Stange halten. Moskau wirft London eine gezielte Desinformationskampagne vor. (jmh/SDA)

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