Republikaner-Schlachtross Tom Davis (72) über die Midterms 2022
«Wette 1000 Dollar, dass die Demokraten das Haus verlieren»

Kaum jemand gewann so konsequent Wahlen für die Republikaner wie Tom Davis. Der ehemalige Abgeordnete weiss, was den Demokraten ein Jahr vor den Halbzeitwahlen fehlt.
Publiziert: 07.11.2021 um 12:07 Uhr
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Tom Davis: «Wir haben die politische Landschaft in Amerika besser verstanden.»
Foto: Dermot Tatlow
Interview: Fabienne Kinzelmann, Virginia

Tod oder Leben, Sieg oder Niederlage. Wo Tom Davis, bis 2008 einer der einflussreichsten Republikaner im Kongress, wohnt, wird US-Politik entschieden. Die Rede ist von den «Suburbs», den amerikanischen Vororten: weitläufige Anwesen, gigantische Häuser, SUVs – sowie Wählerinnen und Wähler, um die Demokraten wie Republikaner buhlen.

Und just haben hier, im US-Bundesstaat Virginia, offensichtlich die Republikaner die Oberhand. Am Dienstag gewann ihr Kandidat Glenn Youngkin (54) die Gouverneurswahl. Ein Jahr vor den Halbzeitwahlen (Midterms), bei denen alle Abgeordneten und ein Teil der Senatorinnen und Senatoren neu gewählt werden, ein verheerendes Signal an US-Präsident Joe Biden und seine Partei.

Kurz vor der Schlappe der Demokraten bat uns der erfahrene Wahlstratege Davis zum Gespräch auf seine Terrasse.

Wenn Sie auf das Ergebnis der Midterms 2022 wetten müssten ..?
Tom Davis: ... dann 1000 Dollar darauf, dass die Republikaner die Mehrheit im Haus gewinnen.

Und im Senat?
Den nicht. Senatoren sind auf sechs Jahre gewählt, und 2016 haben sie verhältnismässig überperformt. Es wird eher schwer, etwa die Sitze in Pennsylvania und Wisconsin ohne eine wirklich starke republikanische Welle alle zu halten.

Warum sind Sie sich bei den Abgeordneten so sicher?
In den letzten 39 Halbzeitwahlen hat die Partei des Präsidenten 36 mal Sitze im Repräsentantenhaus verloren. Die letzten vier Male, als eine Partei das Weisse Haus, das Repräsentantenhaus und den Senat kontrollierte – 1994, 2006, 2010 und 2018 –, haben sie das Haus jeweils deutlicher verloren als angenommen. Die gleiche Dynamik sehen wir jetzt wieder.

Sind die historischen Fakten der einzige Grund?
Nein. Trump ist weg, dadurch verlieren die Demokraten als Opposition an Notwendigkeit. Und unabhängige, eher konservative Wähler mögen gar nicht, was die Demokraten gerade alles machen: dieser ganze «Woke»-Kram, die Wirtschaftsideen. Die wollten Trump loswerden, aber die wollen Biden keinen neuen Blankoscheck ausstellen. Das wird sich an der Urne bemerkbar machen, so wars die letzten 150 Jahre schon.

Zur Person: Tom Davis

Der Jurist Tom Davis (72) gilt als mindestens so grosser Sport- wie Politik-Fan. 14 Jahre lang vertrat der den US-Bundesstaat Virginia im Repräsentantenhaus. Von 1999 bis 2003 verantwortete er als Chef des National Republican Congressional Commitee (NRCC) den Wahlkampf der Republikaner für den Kongress. Fünf Jahre später zog er sich zugunsten einer Beraterkarriere aus der aktiven Politik zurück. Damit er die College-Gebühren seiner vier Kinder zahlen konnte, wie er sagt – und weil ihm seine Partei in den Bush-Jahren zunehmend fremd wurde.

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Der Jurist Tom Davis (72) gilt als mindestens so grosser Sport- wie Politik-Fan. 14 Jahre lang vertrat der den US-Bundesstaat Virginia im Repräsentantenhaus. Von 1999 bis 2003 verantwortete er als Chef des National Republican Congressional Commitee (NRCC) den Wahlkampf der Republikaner für den Kongress. Fünf Jahre später zog er sich zugunsten einer Beraterkarriere aus der aktiven Politik zurück. Damit er die College-Gebühren seiner vier Kinder zahlen konnte, wie er sagt – und weil ihm seine Partei in den Bush-Jahren zunehmend fremd wurde.

Eine der Ausnahmen: 2002. Bei den ersten Midterms unter George W. Bush leiteten Sie das republikanische Wahlkampf-Komitee NRCC und konnten das Repräsentantenhaus zum zweiten Mal in Folge halten. Wie haben Sie das geschafft?
Zwei Dinge haben uns geholfen: Zu Beginn von Bushs Amtszeit hatten wir im Senat nur eine knappe Mehrheit. Nach acht Monaten hat sich Jim Jeffords, ein republikanischer Senator aus Vermont, für unabhängig erklärt – damit stand es im Senat 50 Demokraten zu 49 Republikaner und ein Unabhängiger. Das hat die Erwartungen unserer Basis gesenkt. Und dann kam 9/11, das hat das Land für eine Weile etwas stärker zusammengebracht und Bushs Position gestärkt, obwohl seine Beliebtheitswerte davor in den Keller gingen.

Der Krisen-Effekt: Staats- und Regierungschefs gewinnen in solchen Zeiten oft an Zuspruch, weil sich die Menschen nach Sicherheit sehnen.
Exakt. Nur, dass es Trump bei Corona nicht viel genützt hat, weil er es so schlecht gemanagt hat. Er war wie eine ungelenkte Rakete in Bezug auf das, was er sagte. Ich denke, das war es, was ihn am Ende des Tages zu Fall gebracht hat. Er hat eine echte Gelegenheit vertan.

Sie standen dem NRCC aber auch schon 2000 vor. In Washington dachte man, die Wahl würden Sie verlieren – haben Sie aber nicht. Was war Ihre Gewinner-Strategie?
Wir haben die sich verändernde, politische Landschaft in Amerika besser verstanden. Wir verstanden, dass die ländlichen Gebiete gegen die Demokratische Partei rebellierte, als die sich mehr zu heiklen sozialen Themen äusserte: Abtreibung, die Homo-Ehe. In diesen Gebieten haben wir passgenau Kandidaten platziert und den Demokraten Sitze abgejagt.

Beim Präsidenten selbst hat das nur bedingt geklappt: Bush hat damals nicht die Stimmenmehrheit bekommen und nur dank den Gerichten gewonnen.
Es heisst immer, Republikaner bekommen keine Stimmen von Schwarzen. Wir haben die entscheidende bekommen: Richter Clarence Thomas. Er war der fünfte der neun im US Supreme Court. Al Gore hat es wie ein Staatsmann akzeptiert – ganz im Gegensatz zu Trump, das ist so peinlich.

Es ist nicht nur Trump. Immer mehr führende Republikaner unterstützen die Wahlbetrugslüge.
Das ist doch auch verständlich! Trump hat die ländlichen Gebiete für die Republikaner gewonnen. Er hat jahrzehntelang Reality TV gemacht. Er hat die Leute wirklich verstanden, sie direkt angesprochen. Dafür reichte sein 500-Wort-Vokabular, während Hillary sie als «bemitleidenswert» bezeichnete (Clinton nannte einen Teil der Trump-Anhänger im Wahlkampf 2016 als «basket of deplorables», Anm. d. Red). Und diese Wähler sind nun immer noch da und fühlen sich Trump verbunden. Und die brauchen die Republikaner eben, die wiedergewählt werden wollen. Das ist wie ein Tanz. Ich habe mit einem Kongressmitglied vor dem 6. Januar gesprochen und ihm gesagt: «Schau, wenn du gegen die Zertifizierung der Wahl stimmst, wirst du in der Geschichte sehr schlecht aussehen.» Er sagte: «Ja, aber wenn ich dafür stimme, werde ich in meinem Bezirk herausgefordert.»

Finden Sie, das ist Grund genug, demokratische Werte zu verkaufen?
Es ist auf jeden Fall gefährlich. Aber ich glaube, die Wahlbetrugslüge verliert trotzdem an Bedeutung. Es sind sehr wenige Leute, die das wirklich glauben.

Trump ruft seine Basis bereits dazu auf, nächstes Jahr nicht zu wählen, wenn die Republikaner den vermeintlichen Wahlbetrug nicht zur Prio Nummer eins machen. So gingen auch schon unerwartet die beiden Nachwahlen in Georgia für die Republikaner verloren, die den Demokraten überhaupt erst die Mehrheit im Kongress sicherten.
Trump ist eine Wild Card. Er ist eine einzige Abrissbirne in Bezug auf das, was er für die Partei tut, weil es ihm nur um ihn geht. Aber, ob er uns am Ende mehr nützt oder mehr schadet, sehen wir erst nächstes Jahr. Er ist unsere grösste Stärke wie unsere grösste Bürde.

Haben Sie im vergangenen Jahr für Trump gestimmt?
Ich war für niemanden. Aber ich habe gegen Biden gestimmt, weil ich dagegen bin, in welche Richtung er das Land führt.

Also für Trump?
Ja. Er ist nicht «mein» republikanischer Präsidentschaftskandidat. Aber am Ende geht es mir um die Nominierung von Richtern, anderen Regierungsmitgliedern und Behörden. Wenn Trump wieder antreten will, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass er nicht wieder nominiert wird.

Und wenn doch, dann würden Sie auch 2024 für ihn stimmen?
Bevor ich ihn noch mal wähle, würde ich mir anschauen, ob die Demokraten eine vernünftige Alternative bieten. Aber ich fürchte, sie werden immer extremer – genauso wie meine Partei. Für Moderate wie mich ist das schwierig.

Welche ist Ihre liberalste und welche Ihre konservativste Überzeugung?
In Sachen Wirtschaft bin ich sehr konservativ. Ich glaube, dass ein System, das Erfolg belohnt, im Gegensatz zu einem System, das Misserfolg belohnt, ein gutes System ist, weil es die Menschen dazu motiviert, mehr zu leisten als ein System, das Erfolg bestraft und Misserfolg belohnt. Sonst schrumpft der Kuchen für alle. Und das heisst nicht, dass man die Menschen auf der Strasse verhungern lässt. Ich habe mich auch viel für einen Zugang zum College eingesetzt, der weniger vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Und eine Entscheidung meiner republikanischen Kollegen revidiert, die Schwulenmagazine aus Bibliotheken verbannen wollten. Auch bei Waffen habe ich Regulierungen unterstützt, die ich sinnvoll fand. Meine Ansichten waren damals nicht immer auf einer Linie mit der Partei. Aber ich nenne das nicht liberal, eher praktisch.

Welche Strategie empfehlen Sie den Demokraten für die Midterms?
Sie müssen ihre Sitze verteidigen. Und zwar, indem sie sich bestimmte Bezirke und deren Bedürfnisse genau anschauen. Ich habe meine erste Wahl mit 29 Jahren und 63 Prozent gewonnen. Hat mir keiner zugetraut, weil der Wahlbezirk eigentlich tief demokratisch war. Nachdem ich an ein paar Türen geklopft habe, wusste ich: Ich spreche besser über das, was die Leute interessiert – nicht das, was mir wichtig ist. Im Prinzip habe ich 25 Mini-Kampagnen genau auf einzelne Nachbarschaften abgestimmt. Die Demokraten haben ihr eigenes Dilemma kreiert. Die Partei ist zweigeteilt: in Linke und einen Haufen ethnischer Gruppen. Das ist Identitätspolitik. Gleichzeitig werden auch wir Republikaner diverser. Wenn die Wähler eine Frau wollen, stellen wir eine Frau auf. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal der Demokraten mehr.

Mit welchem Thema könnten die Demokraten nächstes Jahr punkten?
Das ist noch völlig offen. Da müssen sie abwarten und sehen, womit sie ihre Basis motiviert kriegen. Eine Gallup-Umfrage hat vor zwei Jahren gezeigt, dass sich die Bevölkerung mehr staatliche Eingriffe wünscht. Aktuell wünscht sie sich weniger.

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