Auf einen Blick
- Grönland strebt die Unabhängigkeit von Dänemark an. Der Regierungschef kritisierte ungleiche Zusammenarbeit
- Die USA zeigen strategisches Interesse an Grönland, Regierung lehnt Verkauf jedoch ab
- Dänemark zahlt jährlich 550 Millionen Franken an Grönland
Vor 70 Jahren endete Grönlands Zeit als dänische Kolonie. Heute ist die grösste Insel der Erde ein weitgehend autonomer Teil des Königreichs Dänemark. Doch zwischen den beiden Parteien rumort es gewaltig.
In seiner Neujahrsansprache hat Grönlands Regierungschef Múte Egede (37) den Wunsch nach Unabhängigkeit von Dänemark geäussert. Laut dänischen Medienberichten kritisierte Egede die bestehende Zusammenarbeit mit dem Königreich als nicht gleichberechtigt.
«Die Geschichte und die aktuellen Bedingungen haben gezeigt, dass unsere Zusammenarbeit mit dem Königreich Dänemark nicht zu einer vollständigen Gleichberechtigung geführt hat», erklärte der Premierminister. Er betonte, es sei nun Zeit für den nächsten Schritt und sprach von der Notwendigkeit, «die Hindernisse für die Zusammenarbeit – die wir als Fesseln des Kolonialismus bezeichnen können – zu beseitigen».
Steiniger Weg bis zur Unabhängigkeit
Die Unabhängigkeitsbewegung in Grönland gewinnt zunehmend an Stärke. Ein Grund dafür sind unter anderem Enthüllungen über das frühere Fehlverhalten Dänemarks als Kolonialmacht. Bis in die 1970er-Jahre sollen grönländische Frauen zwangsweise sterilisiert worden sein. Egede kündigte an, die grönländische Bevölkerung werde über eine mögliche Unabhängigkeit abstimmen. Ein konkretes Datum nannte er jedoch nicht.
Rein formell ist der Weg für den Austritt aus dem Königreich Dänemark frei, zumal im grönländischen Autonomiestatut von 2009 explizit festgehalten ist, dass Grönland diesen Entscheid unilateral fällen darf. Das Autonomiestatut stellt dabei die dritte Stufe der Dekolonialisierung der arktischen Insel dar; die ersten zwei bestanden in der Deklarierung Grönlands als eigenständigem Bestandteil des dänischen Königreichs im Jahr 1953 und der Einführung einer begrenzten Selbstverwaltung im Jahr 1979.
In den alleinigen Kompetenzbereich der dänischen Regierung fällt heute noch die Aussen- und Sicherheitspolitik der Insel. Erst kürzlich kündigte Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen (48) an, die militärische Präsenz Dänemarks in Grönland zu stärken.
Machtressource für Kopenhagen
Der Weg in die Unabhängigkeit dürfte sich aber als äusserst schwierig erweisen. Denn eine eigene tragfähige Wirtschaft aufzubauen, ist für Grönland nicht so einfach.
Finanziell ist die Insel stark von Dänemark abhängig. So erhält Grönland jährliche Transferleistungen – die sogenannte Blocksubvention –, die sich derzeit umgerechnet auf rund 550 Millionen Franken belaufen. Der Betrag deckt etwa 20 Prozent der regionalen Wirtschaftsleistung und mehr als die Hälfte der öffentlichen Ausgaben Grönlands. Viele grönländische Politiker sind sich in Anbetracht dessen bewusst, dass die Unabhängigkeit zwar das Wunschziel ist, man es sich zuerst aber leisten können muss.
Dänemark wiederum will Grönland nur ungern ziehen lassen. Denn: Die riesige Insel, deren Landmasse mehrheitlich nördlich des Polarkreises liegt, macht das kleine Dänemark zu einem arktischen Staat. Für Kopenhagen eine gewichtige Machtressource, sitzt doch die dänische Regierung so mit am Tisch, wenn die Grossmächte über die Nordpolarregion diskutieren.
«Grönland gehört uns»
Die Ankündigung Egedes erfolgt kurz nach Äusserungen des designierten US-Präsidenten Donald Trump (78). «Im Interesse der nationalen Sicherheit und der Freiheit in der Welt sind die USA der Ansicht, dass der Besitz und die Kontrolle von Grönland eine absolute Notwendigkeit sind», schrieb Trump auf der von ihm mitbegründeten Onlineplattform Truth Social.
Trumps Gedanke ist nicht ganz abwegig. Denn Grönland hat für die USA eine enorme strategische Bedeutung. Unter anderem hat das Land dort seit dem Zweiten Weltkrieg mehrere Militärbasen.
Armeemajor Steen Kjaergaard von der Dänischen Verteidigungsakademie vermutet, dass es Trumps Absicht gewesen sein könnte, Dänemark zu einer Erhöhung seiner Militärausgaben auf der Insel zu drängen. «Ich denke, Trump ist schlau. Er bringt Dänemark dazu, seinen militärischen Fähigkeiten in der Arktis Priorität einzuräumen.» Die grönländische Regierung wies Trumps Interesse jedoch entschieden zurück. «Grönland gehört uns. Wir stehen nicht zum Verkauf und werden niemals zum Verkauf stehen», betonte Egede.
Während die USA also strategische Vorteile sehen, strebt die grönländische Bevölkerung nach Selbstbestimmung. Dänemark versucht derweil, seinen Einfluss zu wahren. Der Ausgang dieses Ringens um die Zukunft Grönlands bleibt offen.