Finnland sucht definitiv den Schutz der Nato. Am Donnerstag haben sich Staatspräsident Sauli Niinistö (73) und Ministerpräsidentin Sanna Marin (36) in einer gemeinsamen Erklärung für einen «unverzüglichen» Beitritt ausgesprochen.
Bisher war das westliche Militärbündnis in Finnland kaum ein Thema. Zu gross war die Angst, mit einem solchen Schritt den grossen Nachbarn Russland, mit dem man eine 1340 Kilometer lange Grenze teilt, zu provozieren.
Nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine hat sich in Finnland aber die Stimmung gewandelt. In Umfragen befürworten 75 Prozent der Finninnen und Finnen einen Beitritt. Es wird damit gerechnet, dass sich das Land in den kommenden Tagen – voraussichtlich am Sonntag – zu einem formellen Beitrittsantrag entschliesst und noch dieses Jahr aufgenommen werden könnte.
Russland drohte mit Atomwaffen
Und dann könnte alles ganz schnell gehen. Vor wenigen Tagen hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (63) gegenüber Finnland – und auch Schweden – signalisiert und versprochen: «Es ist ihre Entscheidung. Aber wenn sie sich entscheiden, einen Antrag zu stellen, werden Finnland und Schweden herzlich willkommen geheissen werden, und ich erwarte, dass dieser Prozess schnell vonstattengehen wird.»
Für Putin ist diese Ankündigung ein schwerer Rückschlag. Russland wäre nach der Aufnahme der nordischen Länder in der Ostsee und Arktis komplett von Nato-Ländern umgeben. Das russische Aussenministerium beklagte, dass ein Nato-Beitritt des Nachbarn den russisch-finnischen Beziehungen schweren Schaden zufüge. «Russland wird gezwungen sein, entsprechend zu antworten – in militärisch-technischer und in anderer Hinsicht –, um den Gefahren mit Blick auf seine nationale Sicherheit Rechnung zu tragen», hiess es in einer Mitteilung des Ministeriums.
Mitte April hatte Dmitri Medwedew (56), ehemaliger Präsident und Premierminister und heute Chef des Sicherheitsrats, von Provokation gesprochen und mit der Stationierung von Atomwaffen an der Ostsee gedroht, wenn die Finnen der Nato beitreten würden.
Der Einmarsch in die Ukraine weckt bei den Finnen böse Erinnerungen. Nachdem sie sich 1917 vom Russischen Reich losgelöst und einen eigenen Staat gegründet hatten, versuchte die Rote Armee unter Diktator Josef Stalin (1878-1953) im Jahre 1939, sich das Gebiet wieder einzuverleiben.
Die weit unterlegene Armee der Finnen kämpfte jedoch tapfer und fügte den Russen schwere Verluste zu: Man spricht von rund 27’000 getöteten Finnen und 127’000 Sowjet-Soldaten. Es gelang den Finnen, ihr Land zum grössten Teil zu verteidigen, sie mussten aber den Russen im Osten Teile von Karelien abtreten.
Aus Solidarität zu den Finnen gründete der Schweizer Major Gubert von Salis 1946 in Zürich die Schweizerische Vereinigung der Freunde Finnlands (SVFF), die Geld spendete und Studien ermöglichte. Sie ist heute noch aktiv.
Die finnische Regierung erklärte sich während des Kalten Krieges bereit, neutral zu bleiben und erhielt dafür aus Moskau Garantien, dass es nicht einmarschieren würde. Die erzwungene Neutralität des Landes, die darauf abzielte, den grossen Nachbarn zu besänftigen, prägte den Begriff «Finnlandisierung». Bei den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine wird immer wieder von diesem Modell als mögliche Lösung gesprochen. (gf)
Der Einmarsch in die Ukraine weckt bei den Finnen böse Erinnerungen. Nachdem sie sich 1917 vom Russischen Reich losgelöst und einen eigenen Staat gegründet hatten, versuchte die Rote Armee unter Diktator Josef Stalin (1878-1953) im Jahre 1939, sich das Gebiet wieder einzuverleiben.
Die weit unterlegene Armee der Finnen kämpfte jedoch tapfer und fügte den Russen schwere Verluste zu: Man spricht von rund 27’000 getöteten Finnen und 127’000 Sowjet-Soldaten. Es gelang den Finnen, ihr Land zum grössten Teil zu verteidigen, sie mussten aber den Russen im Osten Teile von Karelien abtreten.
Aus Solidarität zu den Finnen gründete der Schweizer Major Gubert von Salis 1946 in Zürich die Schweizerische Vereinigung der Freunde Finnlands (SVFF), die Geld spendete und Studien ermöglichte. Sie ist heute noch aktiv.
Die finnische Regierung erklärte sich während des Kalten Krieges bereit, neutral zu bleiben und erhielt dafür aus Moskau Garantien, dass es nicht einmarschieren würde. Die erzwungene Neutralität des Landes, die darauf abzielte, den grossen Nachbarn zu besänftigen, prägte den Begriff «Finnlandisierung». Bei den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine wird immer wieder von diesem Modell als mögliche Lösung gesprochen. (gf)
Finnland erwartet Attacken
Von Provokation gegenüber dem grossen Nachbarn will Valtteri Hirvonen (60), der finnische Botschafter in der Schweiz, nichts wissen. «Der dem Finnischen Reichstag vorgelegte Bericht kommt zu dem eindeutigen Schluss, dass eine Nato-Mitgliedschaft Finnlands der Stabilität des Ostseeraums und Nordeuropas eindeutig zuträglich wäre. Von einer Provokation gegenüber Putin oder Russland kann also keine Rede sein.»
Dennoch macht man sich in Finnland auf mögliche Aggressionen aus Russland gefasst. Hirvonen: «Da können wir uns verschiedene Massnahmen vorstellen, die Russland auch jetzt schon gegen uns offensichtlich benutzt: Cyberangriffe, Desinformation und Luftraumverletzungen, um nur einige beim Namen zu nennen.»
An einen militärischen Schlag glaubt er nicht. «Militärisch sind wir sehr gut vorbereitet, sowohl qualitativ als auch quantitativ.» Zudem sei ja der Grossteil der russischen Kräfte zurzeit in der Ukraine gebunden.
Finnland stärkt die Nato
Für den ETH-Sicherheitsexperten Niklas Masuhr (28) wäre ein Beitritt Finnlands auch für die Nato «eine echte Verstärkung». «Das finnische Militär hat nie aufgehört, konventionelle Verteidigung gegenüber Russland zu priorisieren. Im Gegensatz zu vielen europäischen Nato-Staaten, den USA und Schweden standen hier nie Stabilisierungseinsätze im Vordergrund.»
Mehr zu den mutigen Finnen
In Finnland seien gewisse Fähigkeiten, insbesondere die Artillerie, aber auch Luft- und Seekriegssysteme wie Anti-Schiffsraketen, «in gewissem Masse» vorhanden, während sie im Rest Europas abgeschmolzen seien. Masuhr: «Militärisch bedeutet dies also, dass das Baltikum entlastet würde, da für die Nato nicht nur die Kontaktzone mit Russland vergrössert wird, sondern dort bereits fähige Truppen verfügbar sind.»
Die finnische Bekanntgabe erhöht nun den Druck auf Schweden, möglichst bald über einen Nato-Beitritt zu entscheiden. Am Freitag wird eine eigene sicherheitspolitische Analyse erwartet, am Sonntag wollen die regierenden Sozialdemokraten einen Beschluss zu ihrer eigenen Position. Am kommenden Dienstag und Mittwoch ist Niinistö schliesslich beim schwedischen König Carl XVI. Gustaf (76) in Stockholm zu Besuch.