Ehemaliger Ministerpräsident macht Russland Kampfansage
«Zu 99,9 Prozent wird Finnland der Nato beitreten»

Finnland will in die Nato – zum Ärger des Kremls. Ex-Premierminister Alexander Stubb sieht es als notwendigen Schritt für das einst neutrale Land. Obwohl Russland durch die westliche Abschottung zum europäischen Nordkorea mutieren könnte, fürchtet er keine Konsequenzen.
Publiziert: 19.04.2022 um 13:08 Uhr
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Seit der russischen Invasion möchte Finnland der Nato beitreten.
Foto: keystone-sda.ch

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar hat Finnland beschlossen, dass es der Nato beitreten will. Ein Paradigmenwechsel für das einst neutrale Land.

Für Alexander Stubb (54), den ehemaligen Ministerpräsidenten Finnlands, handelt es sich dabei um eine Notwendigkeit. «Gerade bei Sicherheitsfragen geht es darum, die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Jetzt ist es für Finnland an der Zeit, der Nato beizutreten», sagt Stubb gegenüber dem «Spiegel».

Wird Finnland noch vor Jahresende Nato-Mitglied?

Von dieser Woche an wird das finnische Parlament offiziell über einen Nato-Beitritt debattieren. Dass dieser auch eintreten wird, ist für Stubb bereits so sicher wie das Amen in der Kirche. «Finnland wird zu 99,9 Prozent der Nato beitreten.» Es sei keine Frage von Monaten mehr, sondern von Wochen.

«Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des Mais den Antrag stellen werden – unabhängig davon, ob Schweden mitmacht oder nicht», so der Ex-Premier. Der Antrag werde wahrscheinlich während des Nato-Gipfels am 29. und 30. Juni anerkannt und angenommen werden. «Dann wird Finnland wahrscheinlich noch vor Jahresende offiziell Nato-Mitglied werden.»

Aus historischen Gründen habe es bisher grossen ideologischen Widerstand gegen einen Nato-Beitritt gegeben. Putins Überfall auf die Ukraine habe jedoch zu einer 180-Grad-Wende in der öffentlichen Meinung und der politischen Führung in Finnland geführt. Zudem hätten die Finnen immer sehr schnell auf grosse historische Ereignisse reagiert. Der Nato-Beitritt sei jetzt der letzte Schritt der «Verwestlichung». Neben dem Beitritt in den Europarat in den Achtzigern und dem EU-Beitritt 1995 «werden wir eben auch der Nato beitreten».

Grösste stehende Armee Europas

Doch was erhofft sich Finnland von einem Beitritt zum Bündnis? «Das Einzige, was uns fehlt, ist der Schutz durch Artikel 5 des Nato-Vertrages. Der besagt, dass ein bewaffneter Angriff auf ein Nato-Mitglied als Angriff gegen alle anderen Mitglieder gilt.»

Denn zusammengearbeitet hatte das Land mit der Nato bereits zu Genüge. «Wir kooperieren schon seit Ende des Kalten Krieges mit der Nato. Wir haben uns seitdem an allen Nato-Missionen beteiligt, selbst in Afghanistan. Zudem nehme Finnland regelmässig an militärischen Übungen der Nato teil.

Doch nicht nur Finnland selber, auch die Nato würde enorm vom Zuwachs profitieren. Denn das finnische Militär habe es in sich: «Wir haben eine der grössten stehenden Armeen in Europa. Wir haben 900'000 Reservisten und können bis zu 280'000 Männer und Frauen über Nacht mobilisieren», sagt Stubb.

Die Luftwaffe soll bald durch hochmoderne F-35-Jets erneuert werden. «Unsere Abwehrsysteme sind kompatibler mit der Nato als die von vielen anderen Mitgliedern. Idealerweise werden wir zusammen mit den anderen skandinavischen und baltischen Ländern eine Abschreckung für Russland darstellen.»

Russland wird zu Riesen-Nordkorea

Lange Zeit war der Begriff der «Finnlandisierung» präsent. Der Begriff spielt auf eine Art gezwungene Neutralität Finnlands aufgrund der Nähe zur Sowjetunion an. Zudem droht Russland Finnland seit Jahren mit Vergeltung im Falle eines Nato-Beitritts.

Stubb fürchtet sich jedoch im Falle eines Nato-Beitritts nicht vor Konsequenzen. «Bei allem Respekt: Angesichts der Lage seiner Armee in der Ukraine wäre es für Russland nicht klug, eine andere Front zu eröffnen.» Zudem liefe Russland bereits Gefahr, vom Rest der Welt abgeschottet zu sein.

Auch Finnland würde den Handel mit Russland im Zuge eines Nato-Beitritts einstellen. «All unsere Unternehmen, die in Russland gearbeitet haben, werden sich Schritt für Schritt von dort zurückziehen müssen.»

Stubb rechnet mit einer Spaltung zwischen einem totalitären und aggressiven, imperialistischen und revisionistischen Russland auf der einen Seite und 35 europäischen Staaten, die an Demokratie, Freiheit, Wirtschaft, Zusammenarbeit und internationales Recht glauben, auf der anderen Seite. «Die Isolation durch den Westen könnte Russland zum geografisch grössten Nordkorea der Welt machen», sagt Stubb.

«Wer Schwäche zeigt, wird überfallen»

Dass Russland genau in diesem Zustand gefährlich werden könnte, bezweifelt Stubb. «Das Einzige, was Putin und Russland verstehen, ist Macht. Wer Schwäche zeigt, wird überfallen.»

Trotz Kooperation mit Russland habe Finnland nie Schwäche gezeigt. Stattdessen hätten sie stets mit der Nato zusammengearbeitet und ihr Militär ausgebaut. Mit dem Nato-Beitritt nehme Finnland nun den nächsten Schritt in Angriff. (dzc)

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