Regierung Erdogan rechnet die Lage schön, um den Tourismus anzukurbeln
Türken türken Corona-Zahlen

Mit schönen Bildern und dem Hinweis auf tiefe Corona-Zahlen macht die Türkei Ferien-Werbung – auch in der Schweiz. Doch jetzt kommt aus: Die Anzahl täglicher Neuinfizierungen ist massiv höher als angegeben. Wird die Türkei zum Risikoland?
Publiziert: 06.10.2020 um 23:29 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2020 um 14:45 Uhr
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Gesundheitsminister Fahrettin Koca musste unter Druck zugeben: Es ist alles viel schlimmer.
Foto: Anadolu Agency via Getty Images
Guido Felder

Bei Corona-Neuinfektion steht die Türkei erstaunlich gut da. 1600 Fälle meldeten die Behörden in den vergangenen Tagen im Schnitt – und das bei 82 Millionen Einwohnern.

Im Vergleich: Die bevölkerungsmässig zehnmal kleinere Schweiz verzeichnet zurzeit täglich im Schnitt etwa 500 Fälle, gestern sogar 700. Aber Achtung: Die Türkei schummelt. Die offizielle Statistik weist nur jene Patienten aus, die medizinisch behandelt werden müssen. Fahrettin Koca (55), Gesundheitsminister unter Präsident Recep Tayyip Erdogan (66), musste unter Druck der Opposition zugeben, dass die Zahl der effektiven Neuinfektionen viel höher liegt. Laut Berechnungen der Opposition muss die Zahl von Neuansteckungen nämlich bei täglich rund 10'000 liegen.

Die inoffiziellen Fallzahlen sprengen die Grafik: Statt um 1600 sollen es rund 10'000 Neuinfektionen täglich sein.

Rekord mit 29'000 Fällen

Der Abgeordnete Murat Emir (51) von der sozialdemokratischen Partei CHP hat die Ergebnisse landesweiter Laboruntersuchungen zusammengerechnet und allein am 10. September 29'000 Neuansteckungen gezählt. Die offizielle Statistik verzeichnete für diesen Tag lediglich rund 1500 Fälle.

Minister Koca begründet die Zählweise mit dem Argument, dass nicht jeder Infizierte auch krank werde und die grosse Mehrheit der Infizierten keine Beschwerden hätten.

Mit diesem Trick hat die Türkei die Zahlen seit Ende Juli wochenlang beschönigt. Die Türkei benutzte die tiefen Werte dann auch, um fleissig die Werbetrommel für unbesorgte Ferien am Bosporus zu rühren. Verschiedene Länder hatten wegen der angeblich tiefen Zahlen ihre Reisewarnungen aufgehoben.

Grossbritannien greift durch

Nun fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ankara auf, die Corona-Zahlen nach den Standards der Uno zu berechnen und zu veröffentlichen. Grossbritannien greift schon jetzt hart durch und hat die Türkei umgehend von der Liste der sicheren Reiseländer gestrichen. Tausende britische Urlauber werden nach ihrer Rückkehr in die Quarantäne müssen.

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