9386,29 Euro Lohn im Monat, je ein geheiztes Büro in Brüssel und Strassburg (F), persönliche Assistenten, luxuriöse Dienstwagen, Flüge in der Businessklasse, eine ansehnliche Altersrente, Sonderkonditionen für medizinische Behandlungen und ziemlich viel politischen Einfluss: Das alles bekommt, wer sich in einem der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union fürs EU-Parlament (Jahresbudget: zwei Milliarden Euro) aufstellen lässt und mit ein bisschen Glück gewählt wird. Je nach Land reichen dafür ein paar wenige Zehntausend Stimmen.
Wie korrupt es in der viertgrössten Parlamentskammer der Welt (hinter dem chinesischen Volkskongress, dem britischen Oberhaus und dem deutschen Bundestag) zuweilen zu- und hergeht, zeigt der Fall der abgesetzten Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kaili (44). Sie soll von Katar 600'000 Euro Bestechungsgelder erhalten haben und sitzt deswegen seit Freitag in Untersuchungshaft.
EU-Parlamentarier wollte Zürcher Bank austricksen
Doch die Griechin ist bei weitem nicht die einzige schillernde Figur im 705-köpfigen Parlament, das über neue EU-Gesetze, den EU-Haushalt und die Mitglieder der noch mächtigeren EU-Kommission mitentscheidet. Da wäre zum Beispiel der Deutsche Rainer Wieland (65), seit 2009 einer von 14 Vizepräsidenten des Parlaments. Der konservative Politiker liess sich sein Parlamentsbüro gerade eben für 630'000 Euro aufhübschen – unter anderem mit Scheiben, die sich per Knopfdruck tönen lassen.
Parlament | Mitglieder |
Chinesischer Volkskongress | 2980 |
Britisches Oberhaus | 759 |
Deutscher Bundestag | 736 |
Europäisches Parlament | 705 |
Schweizer Nationalrat | 200 |
Oder die einstige französische EU-Parlamentarierin Marine Le Pen (54). Sie gab bis 2017 knapp 300'000 Euro für eine Assistentin aus, die gar nie irgendwelche Parlamentsaufgaben erledigt hatte. Noch dreister war der Tscheche Miroslav Ransdorf (1953–2016), der 2015 als amtierender EU-Parlamentarier mit gefälschten Dokumenten in einer Zürcher Bank auftauchte und 350 Millionen Dollar ergaunern wollte. Im Nachhinein behauptete Ransdorf, das sei alles ein Missverständnis gewesen, weil die Bankangestellten in Zürich «nur Schweizerdeutsch» verstanden hätten.
Vielsagend ist das Beispiel des einstigen FPÖ-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache (53). Dieser gilt seit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos 2017 als wohl korrupteste Figur in ganz Österreich. Für einen Platz im EU-Parlament reichte es zwei Jahre später dann aber allemal: Strache wurde gewählt – mit gerade mal gut 33'000 Stimmen –, trat das Mandat aber nie an.
70'000 Arbeitstage pro Jahr fürs Reisen
Problematisch auch die Strukturen, auf denen das EU-Parlament basiert. Zwölfmal jährlich treffen sich die Parlamentarier für je vier Tage in Strassburg und sechsmal jährlich für zwei Tage in Brüssel. Ein geleaktes Dokument listete schon vor Jahren auf, dass die EU-Parlamentarier und ihre Assistierenden deswegen jährlich insgesamt 70'000 Arbeitstage mit Reisen verbringen. EU-Supermacht Frankreich hält jedoch eisern am Parlamentsstandort Strassburg fest.
Das Reisen in der Businessklasse oder im Erstklass-Abteil wird von den EU-Steuerzahlern übernommen. Dazu kommen pro Parlamentarier 338 Euro pro Tag für Hotel und Restaurant, dann 4778 Euro pro Jahr für Repräsentationszwecke (müssen nicht genauer belegt werden), im Schnitt mehr als 5000 Euro monatliche Altersrente und 24'943 Euro pro Monat für Assistentenlöhne.
Tochter von Putin-Sprecher war Parlamentsassistentin
Die Assistierenden müssen dabei nicht zwingend in Strassburg oder Brüssel arbeiten, sondern können den Parlamentariern auch aus deren Heimatländern dienen. Einzige Bedingung: Sie dürfen keine nahen Verwandten der Politiker sein. Ein höchst anfälliges System: 2019 etwa flog auf, dass der französische EU-Abgeordnete Aymeric Chauprade (53) die Tochter des Putin-Sprechers Dmitri Peskow (55) als Assistentin angestellt hatte.
Die maltesische EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (43) versprach Anfang Woche zwar, dass sie das Parlament «aufrütteln» werde. Eine neue Personalie dürfte dieses Unterfangen allerdings erschweren: Im Januar übernimmt der Italiener Alessandro Chiocchetti (54) die mächtige Position des Generalsekretärs des Parlaments und wird damit Chef der rund 8000 Parlamentsbediensteten. Bloss: Seine Sporen abverdient hatte sich Chiocchetti als Mitarbeiter des italienischen Politikers Marcello Dell’Utri (81), der wegen seiner Mafia-Verbindungen zu mehreren Jahren Haft verurteilt worden war. Keine idealen Voraussetzungen für die nötigen tiefgreifenden Reformen.