Über ein Jahr nach dem Start der Invasion in der Ukraine kämpfen die Russen nicht mehr nur gegen die Ukrainer, sondern auch gegen sich selber. Auch die russischen Streitkräfte sind untereinander verfeindet.
Die russische Militär-Bloggerin Anastasia Kaschewarowa (34) berichtet von dicker Luft zwischen den Wagner-Söldnern und der regulären russischen Armee. Statt gemeinsam zu kämpfen, sind die russischen Truppen heftig zerstritten. Das schreibt Kaschewarowa in einem langen Telegram-Post.
Die 34-Jährige, die früher als Assistentin des Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin (59) tätig war, nimmt in ihrem Beitrag kein Blatt vor den Mund.
Funkspruch sorgt für Zoff
«Jeder kämpft nur für sich und sieht nicht, was um ihn herum passiert. Jeder hält sich für den Helden und die anderen für Faulenzer», schreibt die Militär-Bloggerin.
So seien die Wagner-Söldner von Jewgeni Prigoschin (61) in ein heftiges Gefecht geraten, ohne Unterstützung der 72. Brigade der russischen Armee zu erhalten – obwohl sich diese ganz in der Nähe befunden habe. Die Folgen: Die Söldner mussten sich zurückziehen und erlitten hohe Verluste.
Der Rückzug der Wagner-Truppe zog sofort Schuldzuweisungen nach sich. Prigoschins Leute beteuerten, sie hätten die 72. Brigade angefunkt. Die Soldaten wiederum behaupteten, ein solcher Hilferuf sei nie eingetroffen.
Doch dahinter soll mehr stecken. Angeblich gibt es eine Anweisung des Verteidigungsministeriums, die eine Zusammenarbeit mit den Wagner-Söldnern untersagt, wie die Bloggerin schreibt. Und sie mahnt: «Wenn ihr euren Stolz nicht überwindet, werden wir nicht gewinnen.» Schliesslich würden alle im gleichen Boot sitzen – «ihr sitzt Arsch an Arsch». Zurzeit würden die Streitkräfte keine Einheit bilden, und «der Feind nutzt das aus».
Die Russen provozieren sich gegenseitig
Laut Kaschewarowa lautet das Motto zurzeit: Alle gegen alle. Mit Sprüchen wie «Oh, ich habe die Bataillone von Donezk und Lugansk schon lange nicht mehr gesehen – kämpfen die überhaupt noch?», provozieren sich die Streitkräfte gegenseitig. Ausserdem würden sich auch Führer der Truppen nicht vor Streitigkeiten untereinander scheuen.
Kaschewarowa ist sich sicher: Unter diesen Verhältnissen wird der Krieg nicht mehr lange dauern. «Dann verlieren wir und überlassen dem Feind den Sieg.». Egal ob Kämpfer der Armee oder Wagner-Söldner – alle würden ihr Bestes geben. «Jetzt müssen wir zusammenhalten», schreibt Kaschewarowa, «aber wenn ihr euren Stolz nicht überwindet, werden wir nicht gewinnen.» (lia)